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Algiers: The Underside of Power

Auch auf ihrem zweiten Album „The Underside of Power“ wüten Algiers mit ihrer Kombi aus Gospel, Soul und Postpunk gegen Rassismus und soziale Benachteiligung. Was aber hat Sänger Franklin James Fisher gegen den vermeintlichen Gralshüter der Popkultur?

James, Lee, auf eurem Debüt habt ihr vor zwei Jahren mit der Kombi aus Gospel, Soul und Postpunk einen ganz und gar eigenen Sound etabliert, um eure traumatische Jugend im Süden der USA aufzuarbeiten. Seid ihr enttäuscht, dass so wenige Kollegen eine ähnliche Protesthaltung eingenommen haben – gerade wenn man bedenkt, was in den letzten zwei Jahren alles passiert ist?

Franklin James Fisher: Weil es mich nicht überrascht, bin ich auch nicht enttäuscht. Mir ist es aber auch gar nicht recht, wenn wir als Sprachrohr für ein Protestmusikrevival geführt werden. Gerade das Debüt hat zunächst einfach mal einen Rahmen vorgegeben, der verständlich machen sollte, was wir repräsentieren.

Lee Tesche: Das betrifft vor allem auch die musikalische Selbstfindung: Damals in Atlanta haben wir mit Punk und Hardcore rebelliert, um die Gegenwart zu ertragen und durch die Tage zu kommen. Mit Ausnahme von Franklin war Religion für den Rest der Band immer ein entscheidender Teil des Problems. Erst nachdem wir alle aus Atlanta weggezogen waren, haben wir als Atheisten verstanden, warum Gospel für James ein Schonraum ist, der für positive Energie und ein größeres Selbstwertgefühl steht.

Fisher: Wenn man deutlich gemacht hat, dass man gegen Mysogynie, Rassismus, Homophobie und Xenophobie antritt, kann man auch ein Liebeslied schreiben, das vor diesem Hintergrund gelesen werden kann und keinen Widerspruch bildet. Es ist dann keine stillschweigende Bestätigung der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation.

Trotzdem ist es mit euren Werten schwierig, sich gleichzeitig als Teil der Musikindustrie zu definieren, oder?

Tesche: Es ist ein Widerspruch in sich und ein immerwährender Kampf. Wir diskutieren viel und sagen alles ab, was wir nicht mit uns vereinbaren können. Aber wenn man wenig Geld hat, fällt das oft schwer.

Fisher: Auch wenn die eindeutige Trennung in den letzten Jahren schwieriger geworden ist, hat die Unterscheidung zwischen Indie und Major noch immer eine große Bedeutung für mich. Ich werde nicht mit durchgeknallten Spinnern konfrontiert, die nur ihren extravaganten Lifestyle sichern wollen, sondern ich arbeite mit Musikliebhabern. So gesehen ist Algiers für mich eher ein gigantisches Kunstprojekt.

Wie umstritten war denn die Entscheidung, jetzt als Vorband von Depeche Mode durch die Arenen zu touren?

Fisher: Was sollte dagegen sprechen? Ich mag Depeche Mode, und womöglich bekommen wir die Gelegenheit nie wieder, in so gigantischen Locations zu spielen. Wir gehen musikalisch ja keine Kompromisse ein, und ich kann es auch aushalten, wenn sich von 70 000 Zuschauern kein einziger für uns interessiert.

Tesche: Mich beruhigt es, dass wir zwischen diesen Supportshows auch eigene Konzerte in kleinen Kellerclubs spielen. Wenn dich Tausende von der Bühne pfeifen, triffst du am nächsten Abend auf 150 Leute, die deinetwegen gekommen sind.

Für die Depeche-Mode-Shows habt ihr durchaus Trümpfe in der Hinterhand: Mit der aktuellen Single, die ja auch das Titelstück eures zweiten Albums „The Underside of Power“ ist, klingen Algiers so eingängig wie nie zuvor. Hat das nicht Mut und Überwindung gekostet?

Fisher: Unser Bassist Ryan hat den Refrain geschrieben – und er hat danach in der Tat seine Identität in Frage gestellt. Während ich Popmusik liebe und mich offen dazu bekenne, ist es für Ryan ein heikles und fragwürdiges Wort. Letztlich ist der Song aber ganz organisch entstanden, und auch Ryan ist ein großer Popliebhaber – nur darf man das ihm gegenüber auf keinen Fall so offen formulieren. (lacht)

Tesche: Auf der neuen Platte sind einige Songs, die zum Tanzen animieren sollen. Für mich fasst ein Zitat von Emma Goldman unsere Grundhaltung ganz gut zusammen: „If I can’t dance, I don’t want to be part of your revolution.“ Selbst ein so hartes Stück wie „Walk like a Panther“ hat einen ziemlich eingängigen Refrain.

Insgesamt klingt das neue Album aber doch weit wütender als das Debüt.

Fisher: Wenn man „And she was flying“ von der ersten Platte mal außen vor lässt, sind „Walk like a Panther“ und „Cleveland“ wohl die wütendsten Songs, die ich jemals geschrieben habe. Vermutlich liegt es an meiner religiösen Erziehung, dass ich in Stücken gern das Jüngste Gericht heraufbeschwöre. Die grausamsten Motherfucker der Geschichte werden endlich für all das verurteilt, was sie getan haben, und natürlich sind es Typen wie Donald Trump, für die ich in „Cleveland“ das Jüngste Gericht ausrufe. Das ist es doch, was Kunst im besten Fall leisten kann: dreieinhalb Minuten Rehabilitation für all die Ungerechtigkeit auf der Welt.

Wobei du nicht auf aktuelle Ereignisse eingehst, sondern dich auf Vorfälle beziehst, die bereits einige Jahrzehnte zurückliegen.

Fisher: Das Aufzeigen von Kontinuitäten ist mir wichtiger als tagesaktuelles Geschehen zu kommentieren. Wie stumpf und inhaltsleer wäre es denn, wenn ich „Fuck Trump“-Texte singen würde? Die Situation verbessert sich nicht, wenn man Trump loswird, aber die Strukturen erhalten bleiben.

Das dürfte für euch dann besonders schwierig werden, wenn ihr außerhalb von Städten wie New York oder L.A. durch die USA tourt.

Fisher: Tatsächlich habe ich das Gefühl, dass das deutsche Publikum uns am besten versteht. In den USA ist es auch musikalisch schwierig – weil wir stilistisch nicht so leicht in eine Schublade zu stecken sind. Euer Vorteil ist es, dass ihr keine popkulturell so mächtige Institution wie Pitchfork habt. Das ist früher an der Highschool, als die cool kids die Vorgaben gemacht haben: Alle richten sich nach Pitchfork, und niemand traut sich, ihnen zu widersprechen. Ekelhaft, dass jemand so viel Macht haben kann! Auch wenn sie unserem Debüt eine ziemlich gute Besprechung gegeben haben, ist mir das egal: Ich hasse Pitchfork! Mal sehen, wenn sie dieses Interview lesen, bekommt „The Underside of Power“ bestimmt einen amtlichen Verriss. (lacht)

 

 

Here come the(m) boys in black and white

With the kerosene

It’s been the same evil power since in ’63

They hang in Homeland, Alabama with the whitest sheets

And in Montgomery County, Maryland from a sapling tree

But innocence is alive and it’s coming back one day

I don’t think you’re gonna get away

With the Seal I can hear them singing

Kindra Chapman (we’re coming back)

Brother Andre Jones (we’re coming back)

Lennon Lacy (we’re coming back)

Sandra Bland (we’re coming back)

Roosevelt Pernell (we’re coming back)

Keith Warren (we’re coming back)

Alfred Wright (we’re coming back)

We’re coming back and any day now –– it won’t be long …

(aus: Cleveland)

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