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Aljoscha Brell: Kress

Alles, nur kein Berlin-Roman: „Kress“ von Aljoscha Brell

Wieder geht es ins nie langweilig werdende Epizentrum der Kreativszene, ewig dauernder Parties und kunterbunter Subkulturen. Kress, den Protagonisten des gleichnamigen Debüts von Aljoscha Brell, kümmert diese Umgebung allerdings herzlich wenig – und deswegen handelt es sich hier auch keineswegs um eine typische Berlin-Erzählung. Kress, der seinen Vornamen nicht verraten mag, lebt und studiert zwar in der Hauptstadt, doch im Kopf ist er fast nur in Weimar und Königsberg unterwegs – und zwar im 18. Jahrhundert, der Zeit von Kant und Goethe. Ins Hier und Jetzt wird der eigenwillige Literaturstreber dann aber von einer zu spät im Seminar erscheinenden Kommilitonin katapultiert: Madeleine hat es ihm angetan, und Kress lernt langsam, dass das Leben nicht nur mit reiner Vernunft gemeistert werden kann. In diesem Sinne hat man es bei „Kress“ mit einem Entwicklungsroman zu tun, denn der durchaus misanthrop veranlagte Grübler wagt sich auf einmal in House-Clubs und auf WG-Feiern. Gerade im Mittelteil sind Brell herrlich komische Dialogszenen gelungen, in welchen sich vor allem das fehlende Smalltalk-Talent des Helden zeigt. Als der erfährt, dass seine Angebetete sich auch mit Autos gut auskennt, fallen Sätze wie: „Keineswegs bin ich davon irritiert, im Gegenteil, ich begrüße es sogar. Ich stehe, zu deiner Information, in vielerlei Hinsicht auf der progressiven Seite der Frauenfrage.“ Und doch hält das Lachen nicht lange an, denn schnell wird klar, wie arg dieser Hauptcharakter innerlich zerrissen ist, der in der Regel nur mit sich selbst oder seiner Taube kommuniziert. Wegen solcher Verhaltensweisen wirkt die Figur jedoch auch leicht überzeichnet, was der Interpretationsfreiheit des Lesers manchmal wenig Raum lässt. Zudem rückt Brell einige Macken von Kress leider zu häufig in den Vordergrund, so dass diverse Handlungsereignisse vorhersehbar werden. Doch ist ihm eine unterhaltsame wie auch spannende Erzählung gelungen, die gekonnt zwischen Komik und Melodram pendelt. Amüsant sind auch die humorvoll eingebauten Literaturreferenzen. Etwa dann, wenn Kress bemerkt, dass liebestechnisch selbst auf Thomas Manns „Zauberberg“ mehr abging als bei ihm: „Der idiotische Hans Castorp hatte in sieben Jahren mehr erotische Erfahrungen gemacht als er. War es am Ende das, was er von der Verspätung wollte? Eine erotische Erfahrung? Durfte man das? Was hätte Kant wohl dazu gesagt?“ Kress, der traurige Antiheld, der mit der Berghain-Generation nichts zu tun haben will. Wie kann man ihn lesen? Um es mit Goethe zu sagen: „ … schöpfe Trost aus seinem Leiden, und lass das Büchlein deinen Freund sein … “.

Philipp Kressmann

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