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Benedict Wells – Vom Ende der Einsamkeit

Benedict Wells
(Foto: ©Bogenberger Autorenfotos)

Benedict Wells thematisiert in „Vom Ende der Einsamkeit“ so große Themen wie Verlust und Selbstentfremdung ohne Kitsch und Pathos.

Mit der unbeschwerten Kindheit von Jules und seinen Geschwistern Marty und Liz ist es vorbei, als die Eltern tödlich verunglücken. Die drei wachsen im Internat auf, und der einst so selbstbewusste Jules zieht sich immer mehr in seine Traumwelt zurück. Auch Jahrzehnte später hat er noch Schwierigkeiten, seinen Platz im Leben zu finden… Mit jugendlicher Leichtigkeit ist es bei Benedict Wells vorbei – und das werden seine Leser ziemlich sicher zum Heulen finden.

Benedict, mit „Vom Ende der Einsamkeit“ verabschiedest du dich von einer Unbekümmertheit, die Erfolge wie „Becks letzter Sommer“ geprägt hat. Statt auch mal einen nicht hundertprozentig präzisen Satz stehen zu lassen, feilst du jetzt an jedem Wort …

Benedict Wells: Ich denke, gerade letzteres ist eine natürliche Entwicklung. Früher war ich ungeduldiger, konnte mir nicht vorstellen, mal sieben Jahre an einem Buch zu arbeiten wie jetzt. Je älter ich wurde, desto mehr habe ich es schätzen gelernt, wenn man einem Buch anmerkt, dass der Autor über jeden Satz nachgedacht hat. Und ich kann nicht „Das Attentat“, „Jenseits von Eden“ oder „Alles, was wir geben mussten“ lesen und dann einfach so weitermachen wie bisher. Diese Bücher haben mich verändert, ich wollte von ihnen lernen und mich verbessern. Ich war nie auf einer Schreibschule oder Universität, meine Lehrer waren und sind die Romane, die ich liebe. Noch immer schreibe ich also intuitiv und unbekümmert drauflos, aber dann kommt jetzt eben noch eine Fassung. Und noch eine. Und noch eine. Bis ich das Gefühl habe: Allmählich wird es so, wie ich es mir vorgestellt habe.

Lag es an den großen Themen wie Verlust, Einsamkeit und Selbstentfremdung, dass du nicht mehr mit Ironie arbeiten wolltest? Oder ist es auch eine Frage des Alters, dass du es deinen Figuren nicht mehr zugestanden hast, sich hinter einer gewissen Schnoddrigkeit zu verstecken und ihre Emotionalität zu chiffrieren?

Wells: Beides. Mit 19 oder Anfang 20 war ich nicht bereit, mich diesen Themen als Autor komplett auszusetzen. Als Mensch haben sie mich jedoch immer beschäftigt. Und bei dieser Geschichte wäre es nicht nur feige gewesen, sich in Ironie zu flüchten, sondern auch falsch. Ich wollte, dass jemand, der ähnliche Erfahrungen wie die Charaktere im Buch gemacht hat, sich beim Lesen verstanden und ernstgenommen fühlt.

War es ein Kampf, den du bei „Vom Ende der Einsamkeit“ ganz bewusst geführt hast: Wie kann ich mich diesen großen Themen stellen und ganz direkt in diese Emotionalität reingehen, ohne dabei kitschig und zu pathetisch zu werden?

Wells: Ja, es war mir wichtig, nicht kitschig und pathetisch zu sein, und in manchen Momenten Humor durchschimmern zu lassen. Ich habe versucht, etwas zu schreiben, was Menschen berühren kann, und dabei die Themen Tod, Einsamkeit und Verlust angemessen darzustellen. Mit all ihrer Wucht und ihrem Schrecken, aber auch mit der Schönheit, die oft in Melancholie zu finden ist. Und mit Hoffnung, dem vielleicht Besten, was wir haben. Es geht in dem Buch ja auch um das Überwinden von Einsamkeit und um die Frage, wie man so ein Schicksal meistern kann.

Bei dem Projekt, seine Figuren über mehrere Jahrzehnte zu begleiten, hat es dich da überrascht, wie lang mitunter der Weg ist vom Sich-selbst-Durchschauen bis zum konkreten Versuch, diese Erkenntnisse auch umzusetzen?

Wells: Dieses Thema hat für mich tatsächlich eine große Rolle gespielt, denn Tragik entsteht ja auch oft genau an diesem Punkt. Dass man eigentlich weiß, was gut für einen ist – und dann trotzdem etwas anderes macht. Dass man zu etwas zurückkehren möchte und sich dabei immer weiter davon entfernt.

Der Roman beschäftigt sich mit der Frage, was in einem Menschen unveränderlich ist, egal, welchen Verlauf sein Leben nimmt. Die Biografien deiner Protagonisten werden durch ein schreckliches Ereignis in der Kindheit geprägt, das den Verlauf ihrer Leben und die Persönlichkeiten stark verändert. Was aber, wenn dieses Vom-Weg-abkommen unveränderlich ist? Wenn fast jeder nach Anlässen oder Ausreden sucht, um Verunsicherungen auszuleben, und die Ereignisse im Leben der Romanfiguren nur besonders tragisch und besonders offensichtlich sind?

Wells: Das ist eine wirklich gute Frage, und sie ist von mir nicht eindeutig zu beantworten. Oder anders gesagt: Die Frage und das Nachdenken darüber von jedem Leser des Interviews sind schöner als eine mögliche Antwort von mir.

Benedict Wells Vom Ende der Einsamkeit
Diogenes, 2016, 368 S., 22 Euro

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