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Blondie: Pollinator

Der Rausch der alten Tage: Noch immer zieht Debbie Harry durch die New Yorker Clubs und veröffentlicht mit „Pollinator“ ein neues Blondie-Album.

Man muss Deborah Ann Harry schon ein bisschen aus der Reserve locken. Schließlich handelt es sich bei der falschen Blondine um eine 71-jährige Frau, die ein bisschen müde und fahrig wirkt. Doch geht man sie forsch an, bringt sie zum Lachen oder konfrontiert sie mit Themen, an denen sie Interesse hat, gibt sie intelligente und schlagfertige Antworten, die verdeutlichen, warum sie einen ikonenhaften Status genießt. Etwa, wenn es um plastische Chirurgie geht („Ich lasse machen, was notwendig ist“), um Sex im Alter („Ich suche gerade einen Mann – irgendwelche Vorschläge?“), um lesbische Affären („Hatte ich auch schon – Männer sind aber spannender“) oder um Politik und Umweltschutz. Da fordert sie den globalen Atomausstieg und die Umstellung auf erneuerbare Energien, lobt Merkel für ihre Reaktion auf Fukushima und rügt Trump fürs Festhalten an fossilen Brennstoffen. „Der Mann ist ein Dinosaurier, der keine Ahnung von der modernen Welt hat, und allem, was er nicht kennt, feindlich gegenübersteht. Ich gebe ihm zwei Jahre – dann werden ihn die Leute aus dem Amt jagen. Hoffentlich macht er bis dahin nicht alles kaputt.“

Als Ersatz könne sie sich Angela Merkel vorstellen. „Sofern ihr uns die ausleiht“, sagt sie mit einem Zwinkern. „Sie weiß immerhin, dass man mit Mauern keine Probleme lösen kann.“ Und sie sei auch nicht so gefährlich wie Le Pen, Erdogan, Wilders und Waffennarren, Rassisten, religiöse Fanatiker und Ultra-Konservative in den USA. „Amerika hat seine Vision verloren“, kommentiert Harry. „Es dreht sich nur noch ums Geld, aber Menschlichkeit und Wärme gibt es nicht mehr. Das lässt sich allein an den Mieten in New York festmachen, die unbezahlbar sind und dafür sorgen, dass sich da immer mehr Banker und Manager niederlassen. Also Menschen, die nichts Positives für die Gesellschaft tun. Sie sind wie Heuschrecken – sie nehmen nur.“

Trotzdem bleibt Debbie dort, in ihrem Apartment im East Village und ihren favorisierten Lokalitäten. „Ich gehe nach wie vor gerne tanzen“, gibt sie zu. „Wobei ich Clubs wie ,Mother’ und meine alten Freunde wie Burroughs, Capote und Warhol sehr vermisse. Es ist nicht mehr so ausgelassen und hedonistisch wie früher, aber es ist immer noch toll, sich von der Musik berauschen zu lassen.“ Eben genau so, wie es Generationen von Blondie-Fans mit den ersten sechs Studioalben erging, die Popgeschichte schrieben und sich über 40 Millionen Mal verkauften. Sei es wegen grandioser Ohrwürmer wie „Call Me“, „Heart Of Glass“, „Dreaming“, „The Tide is high“, „Atomic“, „Rapture“ oder „Denise“, die zwischen Disco, Pop und New Wave pendelten, oder dem geballten Sex-Appeal von Madame Harry, damals schon Ü30 – und ein echter Männertraum. „Ich habe trotzdem nie geheiratet und auch keine Kinder bekommen“, gibt sie lakonisch zu Protokoll. „Ich hatte nie sonderlich viel Glück in der Liebe. Ich denke, das ist meiner Karriere geschuldet – dem Druck, den Drogen und meiner eigenen Labilität.“

Der Druck ist mittlerweile weg, der große Erfolg allerdings auch. Nach dem triumphalen Comeback mit „No Exit“ von 1999 nahm die Band experimentelle Alben auf, die eher als Vehikel zum kontinuierlichen Touren dienten, als dass sie kommerziellen Interessen folgten. Eine Entwicklung, der man nun entgegenzuwirken versucht: Für das neue Album „Pollinator“ haben sich Blondie Songs von Sia, Johnny Marr, Charlie XCX, Nick Valensi (The Strokes) und David Sitek (TV On The Radio) schreiben lassen – die sich zuvor als Blondie-Jünger geoutet hatten. Und die, da liegt die Ironie, wahrscheinlich sogar die besseren Blondie-Songs schreiben als Harry und ihr Dauerpartner Chris Stein. „Es ist nicht so, als würde uns nichts mehr einfallen“, stellt die Blondie-Sängerin klar. „Aber wir dachten uns: Hören wir mal, was andere für uns schreiben und welche Ideen sie entwickeln. Das Ergebnis war so, dass wir es nicht besser hätten machen können.“

Ob die elf Songs, mit denen Blondie zwischen Disco, Funk und Bombastpop pendeln, aber auch auf die Charts zugeschnitten sind, bleibt abzuwarten. „Wir machen das eh nicht fürs Geld, sondern weil wir gar nichts anderes mit uns anzufangen wissen“, winkt Harry ab. „Wir leben für diese Band. Und ginge es nach mir, würde sie noch ein paar Jahre halten.“ Das liegt nicht zuletzt in ihrer Hand. Wann immer sie über ihre Zeit als Playboy-Bunny und BBC-Sekretärin oder ihre Fahrt im Käfer von Massenmörder Ted Bundy spricht, besteht Medieninteresse – auch, wenn sie selbst die alten Geschichten als extrem langweilig empfindet. Aber: So ist das halt, wenn man eine Ikone ist. Ohne verklärte Vergangenheit geht es nicht.

Marcel Anders

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