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„Das Kino ist ein Empathieraum“

Burhan Qurbani gewann mit seiner Neuverfilmung von „Berlin Alexanderplatz“ 5 Deutsche Filmpreise. Wir sprachen mit ihm, auch übers Ankommen in der Fremde.

Herr Qurbani, was war zuerst da: der Wunsch, sich filmisch mit Alfred Döblins Roman „Berlin Alexanderplatz“ auseinanderzusetzen? Oder die Suche nach einer Form, mit der sich von aktuellen gesellschaftspolitischen Situation erzählen lässt?

Burhan Qurbani: Was wirklich zuerst da war, kann ich nicht mehr nachvollziehen. Es gibt einfach Dinge, die mich mein Leben lang umgetrieben haben. Und „Berlin Alexanderplatz“, dieser literarische Monolith, gehört dazu. Zum anderen aber auch das Thema Fremdsein beziehungsweise der Versuch, in der Fremde anzukommen. Für mich, der mit migrantischem Hintergrund aufgewachsen ist, ist das ein Thema, mit dem ich mich immer beschäftigen und an dem ich mich weiter abarbeiten werde.

Döblins Franz Biberkopf kommt aus der Haft und will ein neues, ehrliches Leben beginnen. In ihrem Film hat es Francis übers Mittelmeer nach Berlin geschafft, und prompt hieß es: Qurbani hat einen Film über die Flüchtlingsproblematik gedreht.

So einfach sollte man das in der Tat nicht gleichsetzen. Ich glaube, Flucht spielt insofern eine Rolle, dass sie der Ausgangspunkt unserer Geschichte ist. Ich mochte die Interpretation, die „Berlin Alexanderplatz“ als einen postkolonialen Film beschrieben hat, der also die Ungleichheit von Dritter und Erster Welt, von Schwarz und Weiß, von Arm und Reich widerspiegelt. Ein Film also, der mehr die Strukturen beschreibt, die zur Flucht führen, als dass ich mich explizit mit dem Leben von Flüchtlingen in Deutschland beschäftige. Dazu gibt es weitaus bessere Filme, die sich die Zeit nehmen, das Thema zu vertiefen. Wir haben versucht, den Roman als Plattform zu nehmen, um eine Geschichte zu erzählen, die mir am Herzen liegt.

Berlin Alexanderplatz: Schuld und Sühne

Was ist das zentrale Moment, dass die Romanvorlage und ihre Adaption verbindet?

Franz Biberkopf, der aus dem Gefängnis entlassen wurde, wird in das neue, überbordende Berlin geworfen. Francis der übers Meer kommt und ungeheuerliche Schuld auf sich geladen hat, der seine Heimat, seine Sprache hinter sich gelassen hat, muss dass alles zurückgewinnen. Beide sind für mich Menschen, die versuchen, ihre Würde und Menschlichkeit zu bewahren.

Wie wichtig war es Ihnen, deutlich zu machen, dass Ihr „Berlin Alexanderplatz“ kein dokumentarisches Werk über das Berlin der Gegenwart ist, sondern ein erzählerisches?

Uns war von Anfang an klar, dass wir keine Millieustudie machen werden. So etwas können Dokumentationen und Reportagen viel besser bearbeiten. Wir haben uns deshalb an Döblins im Grunde schizophrene literarische Methode gehalten. Er ist einerseits ultrarealistisch und montiert Werbesprüche, Alltagsgespräche und Zeitungsmeldungen; gleichzeitig ist Döblin aber auch Expressionist mit einer großen Poesie, der dazu neigt, die Realität zu verformen. Das fanden wir für unseren Ansatz spannender als das rein Dokumentarische.

Die Hautfarbe? Egal!

Um letztlich den Zuschauer über die Geschichte von Francis für dessen Lebenswelt und das Lebens seiner realen Schicksalsverwandten zu sensibilisieren. Trauen Sie dem Kino zu, den Blick der Menschen auf die Welt zu verändern?

Ich glaube an das Kino als einen Empathieraum. Wir verbringen dort zwei oder in diesem Fall sogar drei Stunden eigene Lebenszeit, in der man im besten Fall in die Haut der Figur schlüpft die, wie hier, nicht unbedingt die Hautfarbe des Kinozuschauers hat. Auch wenn der Zuschauer nach dem Verlassen des Kinos sich nicht mehr an alle Einzelheiten der Geschichte erinnern wird, so doch an seine Gefühle dabei. Und mit diesem Gefühl hat er dann vielleicht einen anderen Blick auf die Menschen und auf die Welt, die ihn umgibt.

Interview: Axel Schock

„Berlin Alexanderplatz“ läuft jetzt im Kino.

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