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Der Hunderteinjährige, der die Rechnung nicht bezahlte und verschwand

Mit 66, nein 99 Jahren fängt das Leben an: „Der Hunderteinjährige, der die Rechnung nicht bezahlte und verschwand“ bringt Allan Karlsson zurück, den umtriebigsten Greis des modernen Kinos.

„Das Alter ist ein höflicher Mann“, schrieb Goethe. Das ist so nicht immer richtig; das Alter kann auch ein schlitzohriger Chaot sein. Allan Karlsson ist das Actionidol der Generation Methusalem. Während die Best Ager ab 50 Jahren mit ergrauten Beaus wie George Clooney oder Ü-60-Muskelbergen wie Sylvester Stallone vorlieb nehmen müssen, bietet der 101-jährige Tausendsassa Unterhaltung für alle Junggebliebenen ab 80 (und natürlich auch für alle jüngeren Komödienfans). Als Superheld in Rentnerpopeline schleicht der Held aus „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ mit dem Tempo einer Schildkröte und der Hartnäckigkeit von Rheuma durch ein neues Abenteuer voller Schnaps, Dynamit und Agentenaction.

„Der Hunderteinjährige, der die Rechnung nicht bezahlte und verschwand“ basiert nicht auf einem neuen Roman des Bestsellerautors Jonas Jonasson. Das Drehbuch wurde von den Regisseuren Felix und Mans Herngren allerdings gemeinsam mit Jonasson geschrieben: Allan verprasst zusammen mit Kumpel Julius, Benny und der schwangeren Gunilla die geklauten 50 Millionen Kronen Drogendealgeld aus Teil eins in einem Luxushotel auf Bali. Als er in seinen alten Sachen eine Flasche Limonade der Marke Volkssoda findet, deren Geschmack alle hinreißt, erinnert sich Allan: Damals in den 70ern strebten die Russen danach, den Amis die Dominanz in der Popkultur zu entreißen. Balalaika-Rock entpuppte sich als Flop, für das Rezept der Sowjet-Limonade fuhren beide Seiten aber die Klassiker des Kalten Kriegs auf, von Agentenmord bis hin zu Abrüstungsverhandlungen. Und natürlich hatte Allan durch eine weggeworfene Zigarre das Rezept für die köstliche Volkssoda erfunden. Wenn man dieses Rezept nur hätte, sinniert der umtriebige Krückstocksprinter Julius, dann könnte man ganz unerhört reich werden. Allan erinnert sich erneut – und zwar daran, dass er dieses Rezept in einer Zigarrenkiste aufbewahrt hat. Nur wo ist die Kiste? In Moskau? In Berlin? Im Altersheim? Kurzentschlossen prellen die rüstigen Käuze die Zeche und machen sich auf die Suche nach der Holzschachtel wie Indiana Jones nach archäologischen Relikten. Auf ihren Fersen befinden sich die Tochter von Allans damaligem russischen Freund und Limo-Ideengeber sowie der Gangster, dem Allan und Julius die 50 Millionen entwendet haben …

Die Herngren-Brüder inszenieren das mit weniger Rückblenden in Allans bewegte Vergangenheit, aber wie im ersten Teil als lustvolle, manchmal derbe Farce, die sich nicht um Logik kümmert – aber die ist ja schon im ersten Teil sprichwörtlich durchs Fenster gegangen, und das hat dem Erfolg auch keinen Abbruch getan. Allan döst bei der wilden, nein: milden Jagd von Indonesien über Russland nach Deutschland und Schweden auch gerne mal weg, ist aber stets für jede Abzweigung und Umleitung ans Ziel offen, denn nur so erlebt man was. Und so ist „Der Hunderteinjährige, der die Rechnung nicht bezahlte und verschwand“ auch ein Plädoyer dafür, sich auch im Ruhestand, wenn die Knochen schmerzen und der Geist nicht mehr so will, seine Neugier zu bewahren: Das Leben ist nicht vorbei, wenn du in Rente gehst. Es ist auch nicht vorbei, wenn du im Altersheim landest, ja, es ist nicht einmal vorbei, liegst du erst mal pflegebedürftig im Bett. Denn es gibt noch so viel zu sehen und zu tun, zu erleben und zum ersten Mal zu machen. Warum nur passiv auf den Tod warten, wenn man vorher noch ein paar Sachen in die Luft jagen kann, gerne auch metaphorisch? Allan feiert den Sieg der Rentner-Renitenz über eine alternde Gesellschaft, die ihre Alten weiterhin aus dem Blickfeld der Jüngeren entfernt, weil der Tod Bange macht und jung, hübsch und hip sich nun mal besser verkaufen.

Allan ist nicht altersweise, er hat eher des Alters Meise – und zeigt den trendgeilen, aber angepassten jungen Leuten, dass die großen Abenteuer des Daseins nicht in kostenlosem WLAN im Retro-Cafés, coolen Freunden in Tel Aviv oder Stockholm und Messenger-Apps liegen. Das Leben, so beweist Allan, dieser Philosoph der Geriatrie, das ist das, was andere niemals machen würden. „Die Summa Summarum des Alters ist eigentlich niemals erquicklich“, schrieb Goethe. Er hatte halt nur seinen Eckermann an der Seite – und keinen Allan Karlsson. vs

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