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Hedis Hochzeit

„Hedis Hochzeit“ erzählt als stilles, zartes Liebesdrama davon, wie es um Tunesien fünf Jahre nach dem Arabischen Frühling steht. Ein Filmjuwel.

Was für eine starke, stille Geschichte über ein Land im Umbruch, erzählt anhand zweier Menschen im Umbruch! Tunesien, im Arabischem Frühling erweckt aus jahrzehntelanger Diktatur und Zensur, geht unsicher seine ersten Schritte in relativer demokratischer Freiheit. Genau wie der von Tradition und Sitten sedierte Hedi (Majd Mastoura). Der junge Autoverkäufer soll eine ebenso auf Folgsamkeit programmierte Frau heiraten, die er nicht wirklich kennt und liebt. Bei einer Vertreterreise lernt er die offenherzige Animateurin Rim (Rym Ben Messaoud) kennen und wie wild lieben. Unsturzartig bricht in Hedi – arabisch für ruhig, gelassen – der Wunsch nach Selbstbestimmung aus …

Mit beeindruckender Ökonomie, Handkamera und zwei fantastischen Hauptdarstellern porträtiert Debütant Mohamed Ben Attia sein Land zwischen Sehnsucht nach Freiheit, der Angst davor und den seit der Revolution anhaltenden Krisen: Wirtschafts- und Tourismuskrise, große Arbeitslosigkeit, soziale Unruhen, Islamismus, aktuell auch ein gestürzter Ministerpräsident. Tunesien gelang es als einzigem von der sogenannten Jasminrevolution überwältigtem Land, dem Umbruch ein demokratisches Fundament zu bauen, das jedoch selber auf einem lehmigen Boden steht. Hedi ist dabei eine Art personifiziertes Tunesien; seine Geschichte ist auch die einer Gesellschaft zwischen Tradition und Moderne, Aufbruch und Ankommen, Zuversicht und Angst, einer Gesellschaft, die einen Taumel des Willens erlebt: ein Schritt vor, zwei zurück, zwei vor, einer zurück. Noch ist daher ungewiss, was aus Hedi und Tunesien wird – ob die konservativen Kreise eine Restauration einleiten, das Land zu einem gescheiterten Staat wie Libyen wird oder sich doch die Hoffnung auf eine funktionierende Republik erfüllt.

Die drängende Frage, die „Hedis Hochzeit“ seiner Hauptfigur und dem ganzen Land stellt, ist: Kann man von der Unfreiheit in die Freiheit springen wie vom Beckenrand ins erfrischende Wasser? Hedi möchte, will so sehr, auch wenn das zukünftige Leben ein prekäres in Frankreich wäre, aber es wäre ein selbstbestimmtes Leben. Doch mit Tränen in den Augen muss er feststellen: Er kann nicht, noch nicht. Hedi muss erst lernen, mit seiner Freiheit umzugehen, seinen eigenen Weg finden – die ersten Schritte als autonomer Mensch sollen kein Sprint zu den Landesgrenzen sein. Für das Tunesien bedeutet das: Es muss sich von innen heraus selber reformieren, so schwer das auch ist. „Hedis Hochzeit“ ist eine brillante Parabel für die gigantischen Verwerfungen einer Revolution – und eine zärtliche und berührende Lovestory. (vs)

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