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Jan Costin Wagner: Sakari lernt, durch Wände zu gehen

Spiel mir das Lied nach dem Tod: Bei seiner Serie um Kimmo Joentaa haben ihm die Kriminalfälle nie als Antrieb gereicht. Und was wird aus dem Ermittler, wenn für Jan Costin Wagner jetzt eine ganz andere Leidenschaft immer wichtiger wird?

Jan, ganz eigentlich gibt es in „Sakari lernt, durch Wände zu gehen“ gar keinen Kriminalfall, oder?

Jan Costin Wagner: Im Zentrum meiner Romane standen für mich nie die Kriminalfälle, und je mehr ich geschrieben habe, desto bewusster habe ich das wahrgenommen. Es gibt ja auch in dem neuen Buch noch polizeiliche Ermittlungen, aber mir war von Anfang an klar, dass die wirklich wichtigen Ermittlungen auf einer ganz anderen Fläche stattfinden.

Dann waren die Verbrechen für dich nur Krücken, um an menschliche Tragödien ranzukommen?

Wagner: Ich habe angefangen, über Kimmo Joentaa zu schreiben, weil er den Tod eines geliebten Menschen zu bewältigen hatte. Erst in zweiter Instanz war er für mich Ermittler, und gewaltsame Todesfälle waren mir als Autor deshalb nah, weil sie die Türen zu bestimmten Fragen geöffnet haben: Wie kommt man mit einem schrecklichen Verlust klar? Wie kann man akzeptieren, dass bestimmte Dinge nicht mehr in Ordnung zu bringen sind? Und wie leben die Täter mit der Schuld? Nur wegen dieser Fragen habe ich über den gewaltsamen Tod geschrieben.

Mit dem Plot von „Sakari lernt, durch Wände zu gehen“ wird dein finnischer Ermittler in ganz besonderer Weise mit seiner eigenen Leidensgeschichte konfrontiert.

Wagner: Stimmt, mehr denn je kreist der Roman um Fragen, die den fundamentalen Verlust und den Neubeginn betreffen. Von Buch zu Buch hat sich Kimmo ja immer mehr in die Richtung entwickelt, dass er aus dem eigenen Schmerz die Kraft schöpft, für andere da zu sein, die schlimme Verluste erleben. Er ist weniger Ermittler als dass er versucht, die Welt der trauernden Menschen wieder in Ordnung zu bringen.

Während es Kimmo gelungen ist, seinen Schmerz in einen positiven Neuanfang zu kanalisieren, ist er im neuen Roman von Figuren umgeben, die an ihrer Trauer zu zerbrechen drohen: Sie flüchten vor der Auseinandersetzung, fallen dem Wahnsinn anheim oder sind so sehr auf den eigenen Schmerz fokussiert, dass sie die Welt um sie herum nicht mehr wahrnehmen.

Wagner: Je länger ich schreibe, desto deutlicher haben sich auch für mich die Fragen des Erlebens von Trauer und des Weiterlebens als Kern herauskristallisiert. Sie sind der Grund, warum ich überhaupt schreibe, und der neue Roman hat als vielperspektivisches Mosaik tatsächlich einen fast schon enzyklopädischen Charakter.

Klingt da ein Wendepunkt oder vielleicht sogar ein Schlusspunkt für deinen Serienhelden durch?

Wagner (lacht): Das ist eine gute Frage. Schon nach dem Vorgänger wusste ich, dass es eine Weile dauern wird, bis es weitergeht. Doch auch wenn mit „Tage des letzten Schnees“ ein wichtiger Aspekt zu einem Abschluss gekommen ist, war mir trotzdem klar, dass etwas Neues beginnen kann und wird. Jetzt habe ich aber das Gefühl, dass die Kernthematik der Reihe auserzählt ist. Und doch habe ich Freude an dem Gedanken, Kimmo irgendwann fortzuerzählen.

Das Schreiben bekommt ja auch durch die Musik eine immer stärkere Konkurrenz, denn in diesen Tagen erscheint mit „Thief of a Moon“ ein Album von dir, dessen Songs sehr stark mit dem aktuellen Roman verknüpft sind.

Wagner: Es hat angefangen, mit der Musik intensiv zu werden, als ich im letzten Drittel des Romans war. Sie hat sich aus diesem Schreibprozess herausgelöst und ihren eigenen Raum beansprucht. Tatsächlich gibt es Stellen im Roman, die mir zunächst als Textzeile für ein Lied vorschwebten, was die sehr enge thematische Anbindung erklärt: Gibt es in Anbetracht des fundamentalen Verlusts eine Melodie, die den Trauernden weiterträgt?

Interview: Carsten Schrader

Auf dem Marktplatz der finnischen Stadt Turku steigt ein verwirrter Jugendlicher in einen Brunnen. Er ist nackt und trägt ein Messer bei sich – trotzdem gibt es für den herbeieilenden Polizisten eigentlich keinen Grund, den jungen Mann zu erschießen. Ermittler Kimmo Joentaa, inzwischen alleinerziehender Vater einer Tochter, recherchiert die Biografie des Opfers und stößt auf eine Tragödie, in die zwei Familien verstrickt sind.

Jan Costin Wagner Sakari lernt, durch Wände zu gehen

Galiani Berlin, 2017, 240 S., 20 Euro

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