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King Krule: The Ooz

Er war Wunderkind und Indie-Liebling. Doch für sein Meisterwerk musste Archy Marshall alias King Krule erst durch seine ganz persönliche Hölle.

Archy Marshall ist noch immer verwirrt, aber nicht mehr so sehr. „Lange Zeit konnte ich es nicht ertragen, meinen neuen Kram zu hören, aber als die Testpressung vom neuen Album kam, habe ich mich damit eingeschlossen – und es hat mich emotional so fertiggemacht wie nie zuvor bei meiner eigenen Musik.“ Bei den meisten seiner Kollegen würde da die Alarmlampe aufleuchten, die vor Promogewäsch warnt – doch hier spricht ein schlacksiger 23-jähriger Rotschopf, der seine Kunst stets eher runterspielt, statt die Aufregung um seine Person auch noch zu befeuern. Und bei der Frage, ob er sich denn in seinem neuen Album „The Ooz“ wiedererkennt habe, zuckt er auch schon wieder ganz unaufgeregt die Schultern und spielt mit seiner Zigarettenpackung:

„Natürlich habe ich ganz konkrete Andockpunkte, aber wenn ich es als Selbstporträt höre, dann ist es schon verdammt abstrakt, und bei vielen Sachen kann ich nicht mehr sagen, was ich da getan habe oder wo ich hinwollte.“

Für Marshall dokumentiert und beendet „The Ooz“ eine zweijährige Schaffenskrise. Wenn das neue Album vier Jahre nach seinem gefeierten Debüt „6 Feet beneath the Moon“ erscheint, so sind das nur zwei Eckpunkte einer Karriere, die früh begann und durch viele Umbrüche gekennzeichnet war: Noch unter dem Moniker Zoo Kid wird er bereits mit 15 als Wunderkind gefeiert, das der desillusionierten britischen Jugend eine Stimme verleiht, doch während er vier Jahre später unter dem neuen Künstlernamen King Krule einen ganz und gar eigenen Sound zwischen Jazz, Blues und Punk definiert, ist er nebenher als Edgar The Beatmaker auch in Sachen HipHop unterwegs. Das mit der Krise mag sich von außen betrachtet relativieren, wenn man bedenkt, dass Marshall 2015 unter seinem richtigen Namen auch noch ein Gemeinschaftsprojekt mit seinem Bruder Jack veröffentlicht, der für das Album „A new Place 2 drown“ sowohl Illustrationen als auch Gedichte beisteuert, und dass seine Beatbasteleien vor einem Jahr sogar von Earl Sweatshirt genutzt wurden – doch für Marshall sind sie Teil des Problems. „In meinem Umfeld machen alle HipHop, und natürlich bin ich eng mit der Szene verwoben, aber ich habe immer deutlicher gespürt, dass mir das nicht entspricht. Wenn ich Festivals gespielt habe, hat es mich hochgradig frustriert, dass Musiker mit USB-Stick viel mehr Aufmerksamkeit bekommen als meine Band. Ich wollte wieder Gitarre und Klavier spielen und ein gutes Stück zurück zu dem King-Krule-Sound vom Debüt.“

Doch es ist nicht nur musikalische Verunsicherung, die das neue Album prägt. Nach dem Aus einer längeren Beziehung hatte Marshall das Gefühl für die eigene Person verloren. Auch der zwischenzeitliche Umzug einer neuen Bekanntschaft von Barcelona nach London bringt nicht die identitätsstiftende Wirkung, die er sich in dem auf Spanisch und Englisch vorgetragenen Spoken-Word-Song „Bermondsey Bosom“ erhofft: „Me and you against this city of parasites. Parasites, paradise, parasites, paradise.“ Und bei diesen existenziellen Fragen ergibt es dann auch durchaus Sinn, dass Marshall das Album „The Ooz“ genannt hat – waren Körperabsonderungen doch lange Zeit seine einzige Gewissheit. „Durch all diesen Schnodder hinterlasse ich Spuren, die nicht von außen beeinflusst sind und mit denen ich nichts darstellen will“, kommentiert er. Doch natürlich geht er weiter und sucht auch in seinem Stammbaum nach Hinweisen: So ist in dem Song „Half Man half Shark“ nicht nur sein Vater als Duettpartner dabei, Marshall hat auch das Tagebuch seiner Urgroßmutter gelesen, die vor den Nazis aus Tschechien fliehen musste und nach einer langen Reise schließlich Victoria Station in London erreichte. „Keine Ahnung, ob es mir darum ging, mich in ihr wiederzuerkennen“, sagt er, „aber mich fasziniert die Geschichte des 20. Jahrhunderts und Künstler wie Kafka, Picasso, die Existenzialisten. Für mich sind da viele Hinweise zu finden, mit denen ich Gegenwartsphänomene wie die Vereinzelung oder den grenzenlosen Narzissmus besser einordnen kann.“

Wenn Marshall auf „The Ooz“ von Schlaflosigkeit getrieben durch das nächtliche London streift, mischt sich wohl nicht nur im melancholischen Punkblues „The Locomotive“ die Geschichte der Urgroßmutter mit der eigenen Verzweiflung. Immer wieder schälen sich aus vernebelten, skizzenhaften und oft improvisiert wirkenden Kompositionen ganz wunderbare Melodiefragmente, die Marshall mit abstrakten, durch und durch nihilistischen Bildern flankiert. So fragil er sich bei seiner Höllenbegehung auch zeigt, sind es doch wütende Stücke wie „Vidual“, die seinem charakteristischen Baritongesang am besten stehen und Haltegriffe bieten – bevor sich dann die zerbrechlichen Momente umso intensiver entfalten. „Wut ist nach wie vor meine Comfort Zone, und selbst wenn ich verliebt bin, schreibe ich wohl eher einen Song, in dem ich mit den Abhängigkeiten in einer Beziehung hadere“, stimmt Marshall zu und lacht entspannt – was wohl nicht zuletzt daran liegt, dass er sich im Innenhof des Berliner Hotels jetzt endlich seine Kippe anzünden darf. Auch die Frage, ob es ihm nach und durch „The Ooz“ denn jetzt besser gehe, macht ihm großen Spaß. „Meint das, ob ich besser schlafe und weniger kiffe? Zumindest weiß ich jetzt, wie ich klingen will, während ich mich besser kennenlerne, und auch wenn ich nicht alles verstehe, kann ich mit dem Stückeschreiben plötzlich nicht mehr aufhören“, sagt er und zermalmt den Zigarettenstummel mit seiner Schuhsohle.

Carsten Schrader

TOUR

1. 12. Köln

3. 12. Hamburg

4. 12. Berlin

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