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Klaus Cäsar Zehrer: Das Genie

In seinem Debütroman erzählt Klaus Cäsar Zehrer die Lebensgeschichte von William James Sidis, und „Das Genie“ entpuppt sich als Parabel auf unsere Gegenwart.

Was für ein Leben: Mit gerade mal 18 Monaten kann William James Sidis die New York Times lesen, als Achtjähriger beherrscht er nicht nur Latein oder Griechisch, sondern entwickelt bereits eine eigene Sprache namens Vendergood, und als er mit 11 einen Vortrag über die vierte Dimension hält, wird er im Jahre 1910 von der Presse als der Wunderjunge von Havard gefeiert. Williams Vater hatte den Jungen von Geburt an mit einem speziellen Lernprogramm trainiert, und jetzt kämpft er um Anerkennung für die Sidis-Methode: Sein Sohn ist ja der Beweis, dass man Kinder zu Genies erziehen kann. Doch William selbst will bald nicht mehr als Vorzeigeobjekt herhalten: Er erkennt, dass seine Fähigkeiten nur ausgenutzt und missbraucht werden, während des Ersten Weltkriegs wird er zum Sozialisten, und schließlich verspürt er nur noch den Wunsch, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen, um unter Pseudonym nerdige Bücher über das von ihm so geliebte Straßenbahnsystem schreiben zu können … Aber ist das noch Roman oder schon Biografie, wenn Klaus Cäsar Zehrer in seinem 650 Seiten starken Debüt in immenser Fleißarbeit das umfangreiche Quellenmaterial einarbeitet? Kapitalismuskritik, Geltungsdrang, das Recht auf Privatsphäre: „Das Genie“ als Parabel auf unsere Gegenwart zu lesen, ergibt sich ja praktisch von selbst. Doch der Sog, den dieses Buch entfaltet, lässt sich so nicht erklären. Mit der vielschichtigen Darstellung seiner Hauptfigur, einer großen Empathie, aber auch dem Mut, Zwiespältigkeiten sichtbar zu machen, empfiehlt sich Zehrer als Romancier. cs

Klaus Cäsar Zehrer Das Genie

Diogenes, 2017, 656 S., 25 Euro

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