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Mark Frost: Die geheime Geschichte von Twin Peaks

David-Lynch-Intimus Mark Frost sagt uns in seinem neuen Roman, was die Ermordung Laura Palmers in „Twin Peaks“ mit den Verbrechen an an den Nez-Percé-Indianern im 19. Jahrhundert zu tun hat.

Als die Serie „Twin Peaks“ 1991 in Deutschland anlief, sah man auf dem noch jungen Privatsender RTL Unerhörtes: Formal verpackt in eine Soap Opera, lieferte die Serie der Produzenten David Lynch und Mark Frost eine ernüchternde Geschichte von Habgier, Drogensucht, Prostitution, systematischer Vergewaltigung und unendlich vielen weiteren Verbrechen im idyllischen Örtchen Twin Peaks im US-Bundesstaat Washington nahe der kanadischen Grenze. Über diese Handlungsebene zogen Lynch und Frost wie einen Zuckerguss auf einen Donut eine Metaebene voller mystischer Ereignisse. Deren Höhepunkt war erreicht, als in der mystischen schwarzen Hütte mit Bob das abgrundtief Böse von Agent Dale Cooper Besitz ergriff und damit auf ganzer Länge siegte; mit einem solchen Schluss hatten Serienmacher noch nie ihr Werk beendet; „Twin Peaks“ wurde auch deswegen als die postmoderne Serie überhaupt gefeiert. Formal mag letzteres stimmen, doch inhaltlich ist sie auch eine fundamentale Kritik an der Entstehungsgeschichte der USA. Das wird jetzt, wo der Roman „Die geheime Geschichte von Twin Peaks“ vorliegt, zur Gewissheit.
Angemerkt sei, dass „Die geheime Geschichte von Twin Peaks“ alles andere als ein klassischer Roman ist, sondern vielmehr ein Dossier, angelegt von einer Person, die sich selbst „Der Archivar“ nennt und höchstwahrscheinlich Einwohner von Twin Peaks ist. Das FBI hat die Akten an einem nicht näher benannten Ort eines Verbrechens gefunden, jetzt soll Special Agent TP (der Name ist geschwärzt) sie durchsehen mit dem Ziel, die Person zu identifizieren, die das Dossier zusammenstellte.
So lesen wir uns anhand von Akten durch die Geschichte der Westexpansion der USA ab 1805, als Präsident Thomas Jefferson die beiden Soldaten Meriwether Lewis und William Clark auf die erste Überlandexpedition der US-Geschichte schickte. 70 Jahre später werden die Nez-Percé-Indianer des Staates Washington komplett um ihre Gebiete betrogen, in einem zermürbenden Krieg dezimiert und schließlich in ein Lager gesteckt. Diese empörenden historischen Ereignisse dokumentiert das Buch genauestens. Was wirklich historisch verbürgt ist, wird von FBI-Agent TP mit einem „verifiziert“ versehen, was Frost dazu packte, hat diesen Stempel nicht. Es sind die alten Mythen der Indianer, die im Nordwesten der USA noch immer erzählt werden, Mythen von einer Eulenhöhle, aber auch von einem geheimen Ort von Geistern, von mysteriösen, bis zu 2,50 Meter großen Menschen, den so genannten Bigfoots; es sind aber auch Verschwörungstheorien, die meisten von ihnen haben mit UFO-Landungen zu tun. Frost mixt die historisch verbürgten Fakten mit diesen Mythen und schreibt uns eine große Geschichte der Rache, die bereits mit der Entstehung des Städtchens Twin Peaks am Ort und in den Menschen verübt wird. Gleichzeitig stellt er uns in Briefen, Tagebucheinträgen, Zeitungsartikeln und geheimen Militärakten die Familien vor, wie sie ab dem frühen 20. Jahrhundert den Ort prägen und die oder deren Nachkommen wir alle aus der Serie kennen. Wir wissen: Das Böse war schon immer da. Und wir wollen jetzt schon wissen, wie es nächstes Jahr in der dritten Staffel wieder wütet.

Text: Jürgen Wittner

Mark Frost Die geheime Geschichte von Twin Peaks
Kiepenheuer & Witsch, 2016, 368 S., 39,90 Euro
Aus d. Engl. v. Stephan Kleiner

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