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Matthias Arfmann: Ballet Jeunesse

Die arfmann-Pirouette: Das Projekt Ballet Jeunesse verbindet Pop und Ballettmusik auf ambitionierte Art und Weise. Trotzdem ist Ärger bereits vorprogrammiert.

„Wir wollten eigentlich nur gemeinsam Spaß haben“, fasst Sängerin Onejiru die Intention hinter Matthias Arfmanns Projekt Ballet Jeunesse zusammen, das sich der elektronischen Neuinterpretationen europäischer Ballettmusikklassiker verschrieben hat. Nie hätten sie im Sinn gehabt, bewusst an den alten Grenzen zwischen Hoch- und Popkultur zu rütteln. Trotzdem drängt sich beim Hören des Albums unweigerlich die Frage auf, ob diese Barrieren überhaupt noch Bestand haben. Das mag nicht der Hauptgedanke hinter dem Projekt gewesen sein, eine neue Antwort haben Produzent Arfmann und seine fünf Mitstreiterinnen und Mitstreiter trotzdem gefunden: mit einem Album, auf dem Tschaikowsky, Jan Delay, US-Rapper KRS-One, Bloc-Party-Frontmann Kele Okereke und Goldene-Zitronen-Sänger Schorsch Kamerun gleichzeitig zu hören sind – schaut man sich diese musikalische Bandbreite an, ist es schwer, in Onejirus Aussage nicht einen Hauch von Understatement auszumachen.

„Schorsch weiß noch gar nicht, dass auch KRS-One und Kele auf dem Album zu hören sind. Darüber wird er sich bestimmt freuen“, kommentiert Arfmann und fügt lachend hinzu: „Noch mehr interessiert mich aber, was KRS-One wohl denkt, wenn er Schorsch Kamerun hört.“ In der Tat: Kamerun macht aus Chatschaturjans stürmischem Säbeltanz ein aufbrausendes Stück Diskurs-Punk in bewährter Avantgarde-Schräglage, mit Streichern und Bläsern als Basis – einer der Höhepunkte des Albums, zugleich die größte Irritation.

Auch das Kernpersonal schöpft aus einem reichhaltigen Pool von Einflüssen: Sebastian Maier ist Schlagzeuger und Drum’n’Bass-Produzent, Milan Meyer-Kaya komponiert Filmmusik und spielte in der Indieband Sue, Peter Imig kommt von der Klassik, Onejirus musikalische Wurzeln liegen in Afropop und Global Beat – und Initiator und Namensgeber Matthias Arfmann produzierte Alben von HipHop-Bands wie den Beginnern und war Gründungsmitglied der Postpunkband Kastrierte Philosophen.

Die Reihe Recomposed der Deutschen Grammophon, in der Künstler wie Max Richter, Matthew Herbert oder eben Arfmann klassische Stücke neu arrangieren, hat die Weichen gestellt. Dennoch schien das Unterfangen zunächst aussichtslos. Da sowohl von den Orchestern als auch den Komponisten Lizenzen beschafft werden mussten, würde es ihm wahrscheinlich nie gelingen, sämtliche Rechte zu bekommen, bekam Arfmann direkt mit auf den Weg. „Die Orchester stellten sich tatsächlich quer“, erklärt Violinist und Komponist Peter Imig. „Doch dann hatten wir die Möglichkeit, für zwei Tage das Filmorchester Babelsberg zu mieten, das uns alles neu eingespielt hat. Danach wurde gesampelt, was das Zeug hielt.“

„Wir haben immer geschaut, ob in einem so komplexen Werk, das vielleicht eine Stunde dauert, noch ein ganz simples Kinderlied schlummert – und dann versucht, dieses herauszuarbeiten, ohne dass es peinlich wird“, sagt Arfmann. „Wenn es aber zu blumig und sonnig wurde, fand ich es es nicht mehr interessant. Es muss schon eine gewisse Schwere oder Sentimentalität haben. ,French Cancan`wäre deshalb nicht möglich gewesen.“

Viele der Stücke entfernen sich gerade so weit vom Original, dass es noch kenntlich bleibt – durch die Beat-Arbeit und Onejirus Gesangspassagen, die sich an den Inhalten der Ballette orientieren, aber auch Persönliches einfließen lassen, werden sie aber alle zu Popsongs. „Wir wollen das Original nicht für immer verändern, sondern zeigen, dass es auch eine Berechtigung gibt, daneben ein gutes Rework genießen zu können“, erläutert Arfmann. Das Ergebnis ist zum Teil erstaunlich: So ist es im Rückblick vollkommen einleuchtend, den „Tanz der Ritter“ aus Prokofjews „Romeo und Julia“ in einen HipHop-Track zu verwandeln – wurde das Stück nicht schon immer von einem vorwärts drängenden Groove getragen? Menschen aus der sogenannten Core-Klassik könnten damit dennoch Probleme haben, glaubt Arfmann – gerade auch, was die geplante Liveumsetzung angeht. „In anderthalb Stunden all diese Werke hintereinander zu spielen, ist schon ein bisschen anarchisch“, kommentiert er, und sein Lächeln deutet darauf hin, dass er die Aussicht, zu polarisieren, durchaus genießt. „Es wird sicher Einwände geben, dass wir damit der Bedeutung der Stücke nicht gerecht werden – aber darauf müssen wir, zu gut deutsch, scheißen.“

Text: Siegfried Bendix

Live-Premiere am 21. 9. beim Reeperbahn Festival zusammen mit den Hamburger Symphonikern

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