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Pigor & Eichhorn: Volumen 9

Ganz nüchtern „Volumen 9“ heißt das neue Programm der Musikkabarettisten Pigor & Eichhorn. Das ist aber gewaltiges Understatement, denn die beiden machen sogar aus dem Thema „Gewaltenteilung“ einen sinnlichen Song.

Seit Jahren schreibt Thomas Pigor für diverse Radiosender den  „Chanson des Monats“ – bisher nur mit marginaler Auswirkung auf die abendfüllenden Bühnenprogramme, mit denen er gemeinsam mit Benedikt Eichhorn auf Tour ging. Doch das ändert sich gerade. Das Programm „Volumen 9“, mit dem die beiden ab sofort im Rahmen von Vorpremieren unterwegs sind und mit dem sie im Mai in Berlin Premiere feiern, besteht sogar ausschließlich aus den besten Chansons aus dieser Produktionsreihe. Für kulturnews ist das Anlass, Pigor & Eichhorn mit ihrem neuen Programm auf die Bestenliste zu setzen und ein Gespräch mit Thomas Pigor zu führen. Wenn Sie der gleichen Meinung sind, können Sie hier für die beiden abstimmen.

Interview mit Thomas Pigor

„Dieser antiintellektuelle Gestus geht mir so auf den Geist!“

Pigor & Eichhorn spielen in ihrem neuen Programm den Song „Gott ist tot“. Dabei geht Thomas Pigor sogar regelmäßig in die Kirche …

Herr Pigor, Ihr jüngster Song auf Youtube heißt „Gewaltenteilung“. Sind Sie einverstanden, dass ich Edutainment nenne, was Sie und Benedikt Eichhorn auf der Bühne veranstalten?

Thomas Pigor: Hm. „Gewaltenteilung“ parodiert das doch. Also … Edutainment!!! (das Wort geht in lautes Gelächter über) Es ist so, dass wir mit dem Bildungskanon kokettieren, wir wissen aber auch, dass wir zuweilen Teile des Publikums überfordern. Dafür freuen sich die anderen umso mehr, wenn wir sie mit Inhalten konfrontieren, die man sonst im Entertainment nicht so oft zu hören bekommt. Sagen wir: die Heideggersche Existenzphilosophie im Reggaeformat. Es geht aber nicht um Bildung oder Erziehung, es geht um Unterhaltung. Wir nehmen einfach nur kein Blatt vor den Mund, wenn es um komplexe Sachverhalte oder um Fremdworte geht und hängen nicht in vorauseilendem Gehorsam die Latte tiefer.

Ist Ihr Publikum wirklich so disparat?

Pigor: Es gibt in breiten Teilen der Öffentlichkeit einen Antibildungsreflex. Sobald bestimmte Reizworte fallen, schlägt man die schulischen Hacken zusammen und denkt: O, das ist jetzt aber schwer! Dabei ist es oft gar nicht schwer. Man muss nur richtig hinhören und nicht sofort abschalten, wenn sich etwas nicht auf den ersten Blick erschließt. Das ist übrigens auch Thema eines Songs: „Primetime Promis“.

Was ist denn das für ein Song?!

Pigor: Dieser antiintellektuelle Gestus von Promis in der Prime Time geht mir so auf den Geist! Den Song gibt es auch im Netz, und wir arbeiten daran gerade mit sehr viel Spaß für unser neues Programm Volumen 9.

Worum genau geht es da?

Pigor: Es wird eine authentische Situation in einem Quiz thematisiert, bei dem die Frage lautete: Wer bekam 1912 den Literaturnobelpreis: a) Leutnant, b) Hauptmann, c) General? Und dann sagte Oliver Pocher: Hauptmann. Daraufhin sagte seine Quizpartnerin ,Klugscheißer‘ zu ihm. Darauf er: Vorname Gerhart, aber ich bin mir nicht sicher. Darauf sie: Streber! Das Problem ist nicht, dass sie Gerhart Hauptmann nicht kennt, sondern dass ihr pubertärer Gestus salonfähig ist. In der Primetime sagt der Durchschnittspromi: Mein Lieblingsgericht ist Currywurst. Und wenn jemand Französisch spricht, verrät er das lieber nicht, weil er sonst als Streber gilt. Dieses zwanghafte intellektuelle Tiefstapeln war früher nicht so ausgeprägt. In Sloterdijks philosophischem Quartett wurde das auch mal thematisiert. Ein russischer Intellektueller hätte erzählt, dass, wenn unter Moskauer Künstlern jemand zugäbe, Camus nicht zu kennen, es für denjenigen ziemlich peinlich sei. In New York hieße es dagegen: Tja, Camus hat’s nicht geschafft.

Sie können ein abgeschlossenes Chemiestudium vorweisen. Hat das noch irgendwelche Alltagsrelevanz für Sie?

Pigor: Es nützt mir in der Küche, denn ich habe im Chemielabor gelernt, wie man Kochen organisiert, wie man nach Rezept kocht. Manchmal kann ich auch mit Fachwissen am Küchentisch brillieren. Ich glaube aber auch, dass das naturwissenschaftliche Denken Einfluss auf meine Weltsicht hat.

Sie sind gebürtiger Unterfranke. Hat Harald Schmidt Recht, wonach viele Ministranten später mal Rampensäue auf der Bühne werden?

Pigor: Mit der Ministrantenvergangenheit haben Sie ins Schwarze getroffen. Meine erste Mikrofonerfahrung hatte ich in der Kirche, als mir die Nonne erklärte, wie man in ein Mikrofon spricht. Die Heiligengeschichten und Mythen des Katholizismus sind nach wie vor Ideenfundus und Juckpunkt. Ich bin zwar aus der Kirche ausgetreten, aber mit dem Song „Gott ist tot“ setzen wir uns mit dem Thema Toleranz in der Religion und der Rolle von atheistischen Positionen in der Medien-Öffentlichkeit auseinander.

Was ist reizvoll am Katholizismus?

Die Auseinandersetzung. Auch Kirchengeschichte finde ich streckenweise spannend. Vor allem aber interessiert er mich kunstgeschichtlich. Wenn wir auf Tournee sind, gehe ich in die Kathedralen und versuche mich anhand der Altarbilder weiterzubilden.

Interview: Jürgen Wittner

Live
4.–6. 5. Düsseldorf
15. 5.–4. 6. Berlin

CHECKBRIEF

Name Thomas Pigor

Geboren 1956 in Alzey

Aufgewachsen im unterfränkischen Unsleben

Studium Chemie an der Universität Würzburg, Abschluss Diplom

Berufe Kabarettist, Liedermacher, Komponist

Schrieb oder schreibt für Tim Fischer, Max Raabe, Walter Moers, Queen Bee, Desiree Nick, Missfits, Berlin Comedian Harmonists

Spielt mit Benedikt Eichhorn als Pigor & Eichhorn

Auszeichnungen Deutscher Kabarettpreis, Deutscher Kleinkunstpreis, Deutscher Chansonpreis, Bayerischer Kabarettpreis

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