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The National: Sleep well Beast

Auch Donald Trump kann nicht 24 Stunden am Tag twittern, und wenn die Nacht am tiefsten ist, wird es Zeit für „Sleep well Beast“ von The National.

Wenn Fans darüber streiten, welches Album denn nun das beste Album des US-Quintetts sei, dürfte die letzte Veröffentlichung aus dem Jahr 2013 wohl eher selten genannt werden – auch wenn The National dank „Trouble will find me“ ihren Superstarstatus endgültig etablieren konnten: Alles klang ein bisschen zu glatt und zu routiniert, der Platte fehlten die Kanten und die wirklich großen Songs. Geht man aber davon aus, dass dunkle Zeiten ihre Kunst befeuern, ist von Album Nummer sieben wieder deutlich mehr zu erwarten, denn auch die für Hillary Clinton im Wahlkampf aktive Band hatte in den letzten vier Jahren natürlich extrem viel einzustecken gehabt. Und tatsächlich zeigte bereits die Vorabsingle „The System only dreams in total Darkness“ eine lange nicht mehr dagewesene Dringlichkeit, was nicht zuletzt an Aaron Dessners knorrigem Gitarrensolo und dem verzweifelten Mantra von Sänger Matt Berninger liegt: „I can’t explain it any other way“.

Doch ist „Sleep well Beast“ nicht politischer als jedes National-Album zuvor: Berninger bilanziert mit seinen kryptischen Texten ebenso seine Ehe wie auch die intensiven Freundschaftsbeziehungen innerhalb der Band und konfrontiert uns mit seinen Verlustängsten. „The day I die, where will we be?“, fragt er immer wieder in „Day I die“, „You said we’re not so tied together, what did you mean?“, will er in „Nobody else will be there“ wissen, und in „Guilty Party“ heißt es: „You’re sleeping night and day. How do you do it? Me, I am wide awake, feeling defeated.“ Eins zu eins sollte man das alles aber besser nicht nehmen, zumal Berninger dieses Mal gemeinsam mit seiner Frau Carin Besser an den melancholisch-eindringlichen Bildern gefeilt hat.

Erstmals in der fast 20-jährigen Bandgeschichte haben The National ihrer Begeisterung für Gitarrensoli nachgegeben und das Gegniedel über die ganze Platte verteilt. Aber selbst wenn mit „Turtleneck“ auch ein wütender Rocksong vertreten ist, der an so großartige Ausbrüche wie „Mr. November“ vom „Alligator“-Album erinnert – den Ton geben die Gitarren auf „Sleep well Beast“ trotzdem nicht an. Ebenso neu sind Loops, Drummachines und ihr Spiel mit zeitgemäßer Elektronik, auch Orchesterarrangements haben sie einspielen lassen. Charakteristisch ist vielmehr eine grundsätzliche Entspanntheit: Sie können alles ausprobieren und jeder Laune nachgehen – schließlich haben sie inzwischen die Gewissheit, stets beim typischen National-Sound anzukommen. Wirklich große Songs gibt es plötzlich wieder zuhauf: „Day I die“ kann es mit „Mistaken for Strangers“ aufnehmen, bei „I’ll still destroy you“ meint man die Handschrift von Jamie XX rauszuhören, und „Carin at the Liquor Store“ ist eine herzzerreißende Pianoballade. Inmitten der Finsternis haben sich The National mit „Sleep well Beast“ einen Schonraum errichtet, und wenn das Album mit dem sechseinhalbminütigen Titelsong abschließt, entlassen sie uns sogar mit einer mutmachenden Parole: „I’ll still destroy you someday, sleep well Beast.“

Carsten Schrader

 

LIVE

21. 10. Hamburg

23. + 24. 10. Berlin

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