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Tune-Yards: I can feel you creep into my private Life

Der Artpop der Tune-Yards ist eingängig wie nie zuvor. Dafür nutzt Sängerin Merrill Garbus ihre Texte für unbequeme Wahrheiten – und verschont dabei auch sich selbst nicht.

Merrill, bei den Tune-Yards standen schon immer Mitsingrefrains und rhythmische Spielereien im Vordergrund, trotzdem ist das neue Album ungewöhnlich eingängig und tanzbar.

Merrill Garbus: Wir haben uns viel mit Dancemusic beschäftigt und die entsprechenden Fragen gestellt: Was ist Mainstream? Was holt ein breites Publikum ab, und was hat bei den Tune-Yards bisher dafür gesorgt, dass viele außen vor geblieben sind? Eigentlich hat mich diese Musik immer gelangweilt, und auf Tour haben wir etwa ständig Witze über diese stupide Kickdrum gemacht. Aber dann habe ich auf Festivals bei Auftritten von Acts wie Major Lazer beobachtet, was da genau passiert und bin immer neugieriger geworden. Ich wollte rausfinden, ob ich das rhythmisch verkomplizieren und interessanter gestalten kann: Es sollte Elemente aus der Dancemusic haben, aber trotzdem wie ein Album der Tune-Yards klingen.

Wie sehr war das dann eine Kompromissarbeit, bei der du die eigenen Bedürfnisse unterdrücken musstest?

Garbus: Ich habe es nicht so empfunden, dass ich Zugeständnisse mache. Wichtiger war eher das Vertrauen in meine Stimme, denn ich wollte meinen Gesang verfremden und in die entsprechenden Maschinen sperren, ohne dabei Individualität preiszugeben. Im Endeffekt sind ja auch noch wahnsinnig viele Dreher und überraschende Wendungen auf der Platte, besonders in der zweiten Hälfte. Songs wie „Colonizer“, „Home“ und „Free“ sind bei Licht betrachtet schon wahnsinnig skurril. Ich nehme das eher als Kompliment für ein verbessertes Songwriting, wenn ich mit solchen Schrullen durchkomme und sie nicht den generellen Popappeal des Albums in Frage stellen.

Inwiefern ist der neue Sound von der Tatsache beeinflusst, dass du Nate Brenner zum gleichberechtigten Partner gemacht hast und Tune-Yards ab dieser Platte offiziell als Duo laufen?

Garbus: Dadurch hat sich rein gar nichts verändert. Am Anfang war Tune-Yards ganz klar mein Soloding, aber Nate ist jetzt schon seit acht oder neun Jahren in das Projekt involviert, und unsere kreative Zusammenarbeit ist mit den Jahren immer intensiver geworden. Ansonsten ist es in der Musikszene ja eher ein Problem von Musikerinnen, dass ihre Verdienste unter den Teppich gekehrt werden – aber gerade vor diesem Hintergrund war es mir extrem wichtig, dass Nate endlich die ihm gebührende Anerkennung bekommt.

Habt ihr gerade als ohnehin sehr politische Band viel darüber diskutiert, wie man auf den globalen Rechtsruck und die niederschmetternde Gesamtsituation reagieren will?

Garbus: Ich frage mich ständig, ob es mir bei der augenblicklichen Lage reicht, Alben aufzunehmen und Konzerte zu spielen. Bestimmte Dinge in den Songs zu thematisieren ist eine Sache, aber speziell auch die Situation in den USA fordert eigentlich mehr. Es hinterlässt bei mir ein schales Gefühl, wenn man jetzt ständig hört, dass zumindest die Kunst von der Krise profitiere und Musik endlich wieder mit der Inbrunst des Widerstands gemacht werde. Für mich bagatellisiert eine solche Aussage die Tatsache, dass das Leben so vieler Menschen durch die Ereignisse der jüngsten Zeit zum Alptraum geworden ist. Andererseits weiß ich aber auch, dass nichts fataler wäre, als wenn sich der Widerstand weiter spaltet und sich die Kritiker in Grabenkämpfen zerreiben.

Du spielt auf Songs wie „Coast to Coast“ und „Honesty“ an, in denen es darum geht, dass sich immer mehr Menschen in einen kleinen Kreis aus Gleichgesinnten zurückziehen und aus dieser Blase heraus Schuldzuweisungen treffen.

Garbus: Oft wird mit einer unglaublichen Arroganz auf die Leute herabgeblickt, die Trump gewählt haben. Aber sollte man sich statt dieser Selbstgefälligkeit nicht lieber fragen, ob man nicht auch seinen Teil dazu beigetragen hat, dass diese Leute so gestimmt haben? Womöglich lässt sich die eigene privilegierte Situation nur auf dem Rücken der Trump-Wähler aufrecht erhalten. Und ich schließe mich da selbst durchaus ein: Natürlich kann ich Gentrifizierung verurteilen und die Superreichen anklagen, aber höre ich als weiße Frau wirklich ganz genau hin, wenn sich etwa bei mir daheim in Oakland die afroamerikanische Community zu ihrem Lebensumständen äußert? Ich bin rassistisch, weil ich in einem rassistischen System aufgewachsen bin.

Das klingt nach einer unüberwindbaren Festschreibung.

Garbus: Ich habe nur dann eine Chance, wenn ich mir meine Prägungen bewusst mache. Das soll auch der Albumtitel ausdrücken: „I can feel you creep into my private Life“ meint, dass sich schreckliche Dinge ganz tief in mir eingeschrieben haben. Ich kann das alles ganz empört von mir weisen, und natürlich will ich als gebildeter Mensch nicht mit rassistischen Tendenzen in Verbindung gebracht werden. Aber kann ich mir wirklich sicher sein, dass ich nach bestimmten Erfahrungen nicht bei fragwürdigen Verallgemeinerungen lande? Ich will mich da nicht erhaben fühlen.

Ist das auch eine Erklärung für den neuen Sound? Suchst du nach einer universelleren musikalischen Sprache, um jenseits der Tune-Yards-Blase einen Dialog anzukurbeln?

Garbus: Es ist ein schöner Gedanke, dass das vielleicht unterbewusst hinter dieser Entwicklung gestanden hat. Natürlich wünsche ich mir den Dialog mit Menschen, die mir bislang nicht zugehört haben. Für mich war es immer produktiv, in meiner Familie mit Leuten konfrontiert zu sein, deren politische Ansichten ich ganz und gar nicht teile. Ich war mehr oder weniger gezwungen, mich mit ihnen auseinanderzusetzen, und so schön es ist, sich die eigene Meinung von Gleichgesinnten bestätigen zu lassen: Auch jenseits der Familienbande sollte mehr möglich sein als Selbstvergewisserung.

Interview: Carsten Schrader

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