Zum Inhalt springen

Warpaint: Heads up

Make the Girls dance: Warpaint hatten ganz egoistische Gründe, auf „Heads up“ ihren Sound zu verändern – und sind jetzt verunsicherter, als sie es eigentlich sein sollten.

Jenny Lee Lindberg täuscht Ahnungslosigkeit vor. Kennt man ja, dieses Phänomen, dass Leute sich unwissend stellen, weil sie einen bestimmten Sachverhalt so super finden, dass sie ihn immer wieder hören wollen. „Also, wie hat dein Umfeld auf unsere neue Single reagiert?“, fragt die Warpaint-Bassistin und trifft alle Vorbereitungen, um die Geschichte auch in vollen Zügen genießen zu können: Kaugummi in den Mund und schnell noch eine Kippe angezündet. Und natürlich zieht sie nervös an der Zigarette, wenn sie von dem blanken Entsetzen hört, mit dem die Hörer zunächst reagierten. Lindberg verzieht das Gesicht, wenn Worte wie „cheesy“ und „Chartpop“ fallen, erst beim Vergleich mit dem letzten Grimes-Album hellt sich ihre Miene ein wenig auf, um am Ende triumphierend zu strahlen, wenn sie hört, dass die angestammten Warpaint-Fans nach einer ersten Eingewöhnung nicht mehr von „New Song“ lassen können und den Song als ihren Sommerhit feiern.

Kein Wunder, dass Lindberg die Reaktionen auf die mutige Vorabsingle besonders gebannt verfolgt: Grundidee und Instrumentierung stammen von ihr. Als der Bandmanager mit dem Vorschlag um die Ecke kam, jede der vier Musikerinnen solle sich ein inspirierendes Stück anhören, um im Anschluss spontan eine eigene Songidee zu entwickeln, haut sie „New Song“ raus – nachdem sie eine Instrumentalversion von Daft Punks „Get lucky“ eingelegt hatte. „Es ging nicht darum, die Vorlage zu kopieren, sondern sie hat mich lediglich in eine Stimmung versetzt, die meiner Skizze zugrunde liegen sollte“, rückt Lindberg das folgenreiche Kreativspiel zurecht. „Wenn es überhaupt einen Vorsatz für das dritte Album gab, dann war es der Wunsch, tanzbarer zu werden und uns ein bisschen mehr an der Energie unserer Konzerte zu orientieren.“

Tatsächlich ist „Heads up“ gar nicht der radikale Bruch, den man nach der Single erwarten konnte. Warpaint ziehen zwar das Tempo an, orientieren sich stärker an Sounds und lassen den Kompositionen mehr Luft – doch nach wie vor ist diese verhangene Stimmung allgegenwärtig, die jede ihrer Kompositionen als Warpaint-Song identifizierbar macht. „Ich bin sehr stolz darauf, dass wir es dieses Mal geschafft haben, sehr schnell zu arbeiten, nicht jeden Song tausendmal umzuwerfen und alles bis ins kleinste Detail zu analysieren“, kommentiert Lindberg die Weiterentwicklung.

Vor allem aber speist sich die innovative Kraft von „Heads up“ wohl aus der Tatsache, dass sich die vier Musikerinnen nach der letzten Tour für rund ein Jahr aus dem Weg gegangen sind, um eigenen Kram zu machen: Lindberg hat als jennylee ihr Soloalbum „Right on!“ veröffentlicht, und auch Theresa Wayman schraubt seit einiger Zeit an verschiedenen Soloprojekten. Stella Mozgawa war mit Jamie XX auf Tour und hat für die aktuellen Veröffentlichungen von Kurt Vile und Jagwar Ma das Schlagzeug eingespielt, während Emily Kokal die Saul-Williams-Single „Burundi“ eingesungen hat. „So haben wir alle frischen Input mitgebracht, zum ersten Mal wurden die meisten Songs erst im Studio geschrieben – und das, indem wir selten zur gleichen Zeit anwesend waren“, kommentiert Lindberg. „Man wird einfach mutiger, wenn man ein bisschen Zeit allein mit einem Song verbringen kann, ohne dass die anderen schon darauf lauern, was man einbringen möchte.“

Für Lindberg persönlich ist „Head up“ vor allem wegen der Texte ein game changer. „Während ich bislang immer erst auf die Musik gehört habe, gibt es auf der neuen Platte einige Songs, die sich mir über einzelne Textzeilen erschließen“, sagt sie. Wie gehabt erzählen Warpaint keine Geschichten. Songs wie „By your Side“ und „Don’t let go“ leuchten zerrissene Gefühlslagen minutiös aus und sehnen sich nach Klarheit, wie man sich selbst in wichtigen Beziehungen definiert. „Erstmals arbeiten die Texte nicht zwangsläufig dem Song zu. Während wir mitunter das Tempo erhöhen und Stücke vorlegen, die nach Bewegung verlangen, kombinieren wir das immer noch mit unserem zutiefst launischen Blick auf die Welt“, kommentiert Lindberg und lacht. Nur einen Song nimmt sie ganz bewusst von dieser neuen Tiefe aus: „New Song“. „Hier durfte es gern eine naive Schwärmerei sein – gerade weil sie nicht verhindert, dass wir uns bei 123 bpm wohl fühlen“, erklärt sie ein bisschen trotzig, aber auch zutiefst überzeugt. Jenny Lee Lindberg erweckt jetzt nicht mehr den Eindruck, als wolle sie noch einmal die Geschichte hören, wie Warpaint-Fans auf „New Song“ reagieren.

Carsten Schrader

LIVE

30. 10. Köln

1. 11. Berlin

Beitrag teilen: