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Alt-J: Relaxer

Alt-J sind siegessicher an ihr drittes Album gegangen. Doch dann trafen sie auf ein paar Halbwüchsige.

Joe, Gus, Thom, um sich eurem dritten Album zu nähern, hat der Küchentischpsychologe in mir vorgeschlagen, jedem von euch eine Frage zu den Dingen zu stellen, die ihr zwischen der letzten Tour und der Arbeit an „Relaxer“ gemacht habt. Also, Joe, wenn du wochenlang nur Filme geschaut hast, welche waren das denn?

Joe Newman: Auf Knopfdruck fällt mir gerade kein einziger ein. Es ist aber auch nicht so, dass ich mir einen Katalog zusammenstelle, um mich an bestimmten Themen abzuarbeiten oder mich inspirieren zu lassen. Ich will mich entspannen und unterhalten. Wobei ich das Songwriting witzigerweise genau so klassifizieren würde: als willkommenen Anlass, meinen Alltagssorgen zu entkommen. Natürlich sickern die privaten Dinge dann ein, aber es würde mich komplett aus der Bahn werfen, wenn ich mir bewusst vornehme, das eine mit dem anderen zu verarbeiten.

Gus, hast du auch mit deinem Pop-up-Restaurant angefangen, um etwas zu haben, was mit Musik rein gar nichts zu tun hat?

Gus Unger-Hamilton: Das war der ursprüngliche Plan – und er ist komplett schiefgegangen. Inzwischen ist es kein Pop-up mehr, sondern ein kleines, trendiges Restaurant, in dem wir moderne europäische Küche anbieten: kleine Teller, große Preise. (lacht) Die Strukturen gleichen sich schon ziemlich: Du schreibst einen Song oder kreierst ein Gericht, dann gehst du auf Tour oder kochst das Gericht immer wieder nach. Ich hatte mir den Restaurantalltag viel schwieriger vorgestellt: dass man etwa improvisieren muss, weil bestimmte Zutaten nicht zu bekommen sind. Das ist leider kaum der Fall, aber es entspannt mich trotzdem, auch mal über Gewürze nachzudenken.

Thom, du hast gar nicht erst versucht, der Musik zu entkommen, sondern mit „High Anxiety“ ein Soloalbum veröffentlicht.

Thom Green: Psychologisch kommst du da aber nicht weiter. Ich entwickle kontinuierlich Songideen: Entweder funktionieren sie für Alt-J oder aber sie wandern in mein privates Mäppchen. Als wir uns an „Relaxer“ gemacht haben, war dieses Mäppchen zwar ganz gut abgearbeitet – trotzdem bin ich nicht etwa befreiter als sonst in den kreativen Bandprozess gegangen.

Aber es wirkt so, als seid ihr euch mittlerweile sehr sicher, dass ihr das professionelle Musikerdasein auf diesem Level und in den gegebenen Strukturen wirklich leben wollt – was ja beim Debüt noch nicht unbedingt der Fall gewesen ist, als plötzlich der Mercury Prize kam und ihr so richtig durch die Decke gegangen seid.

Newman: Unser zweites Album „This is all yours“ hat da sehr geholfen. Wir haben gemerkt, dass wir uns von vermeintlichen Erwartungshaltungen nicht korrumpieren lassen, und der Erfolg hat uns gezeigt, dass wir nach wie vor exzentrisch sein dürfen. Deswegen mussten wir jetzt auch nicht sonstwohin reisen, um mit einem Starproduzenten den nächsten Schritt auszuklügeln. Wenn die Erwartungshaltung von außen lediglich darin besteht, von uns überrascht zu werden und es bei unseren Hörern die Bereitschaft gibt, sich intensiver als gemeinhin üblich mit neuen Songs zu beschäftigen, dann können wir auch darauf vertrauen, dass das ausreicht, was zwischen uns dreien und Stammproduzent Charlie Andrew entsteht.

Dann ist es eher auf die weltpolitische Lage zurückzuführen, dass „Relaxer“ apokalyptischer klingt als die Platten zuvor?

Unger-Hamilton: Ich bin mir gar nicht so sicher, ob das wirklich so ist. Unsere Songs kreisen immer um Liebe, Sex, Tod und Verlust, und wir versuchen diese Themen in interessanten Geschichten zu bearbeiten. Klar, der Abschlusssong „Pleader“ hat schon etwas Postapokalyptisches. Es ist eine sentimentale Rückschau auf bessere Zeiten – und gleichzeitig macht er die Frage auf, ob die vermeintlich guten Zeiten denn wirklich besser gewesen sind.

Aber da ist ja auch noch diese extrem düstere Fantasie einer Sexparty, die „Hit me like that Snare“ beschreibt.

Newman: Es ist zumindest ein sehr nihilistischer Song, der die radikale Selbstzerstörung proklamiert und jeglichen Gedanken an die Konsequenzen des eigenen Handelns verweigert.

Unger-Hamilton: Für mich ist es auch der Song, der am besten unsere Freiheit illustriert. Während wir uns beim letzten Album noch gefragt haben, ob „Left Hand free“ klargeht, weil diese Bluesrocknummer eigentlich gar nichts mit der Art von Indiekammerpop zu tun hat, mit der wir in der Regel identifiziert werden, war jetzt vollkommen klar, dass auch diese sehr kalte Wave-Ästhetik zu uns passen kann.

Interessant ist auch, dass bei dieser Sexparty das aktuelle Radiohead-Album „A moon shaped Pool“ läuft.

Newman: Das liegt daran, weil ich das grundlegende Riff von „Hit me like that Snare“ eigentlich gar nicht verwenden wollte, da es dem Radiohead-Song „Decks dark“ zu sehr ähnelt. Nachdem die anderen aber musikalisch darauf reagiert haben, ging es klar. Wir haben es für Alt-J anverwandelt.

So wie ihr euch sogar getraut habt, eine Coverversion von „House of the rising Sun“ auf das Album zu nehmen.

Newman: Ich gebe ja zu, dass dahinter zum Teil auch ein billiger Thrill steckt. Als wir die Tracklist veröffentlicht haben, war es schon ein geiler Gedanke, sich die perplexen oder gar empörten Reaktionen vorzustellen. Trotzdem würde ich unseren Song nicht als Coverversion bezeichnen, da wir ja sowohl den Text als auch die Melodie angefasst haben. Für mich war es eine sehr persönliche Verortung, da ich durch den Song in meiner Jugend zum ersten Mal an amerikanische Musik herangeführt wurde. Und mich reizt auch die Vorstellung, dass sicherlich auch einige unserer Hörer den Song noch nie zuvor in ihrem Leben gehört haben.

Gus, für dich war ja eher „Pleader“ eine Zeitreise zurück in die eigene Kindheit. Ihr habt den Song mit dem Knabenchor der Ely Cathedral aufgenommen, in dem du früher gesungen hast.

Unger-Hamilton (lacht): Eine eher ernüchternde Erfahrung, die ich mir mit dieser selbstverliebten Idee aber wohl auch verdient habe. Ich wollte an diesen Ort als einer zurückkehren, der es geschafft hat. Früher haben wir Jungs auch immer über ehemalige Chormitglieder getuschelt, die später dann Karriere gemacht haben. Ich hatte mir ausgemalt, wie ich die Jungs mit großspurigem Gelaber dazu ermutige, etwas aus ihrem Leben zu machen – aber dann waren sie bei unserem Zusammentreffen völlig unbeeindruckt und eher gelangweilt.

Interview: Carsten Schrader

 

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