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American Honey

Ein glitzerndes Roadmovie und ein vielstimmiger Querschnitt durch die USA: „American Honey“ zeigt die Reise eines Mädchens in ein hoffentlich besseres Leben.

Bereits mit „Fish Tank“ (2009) bewies die britische Regisseurin Andrea Arnold, dass sie sich wie derzeit kaum eine andere Filmemacherin in soziale Wirklichkeiten einzufühlen vermag und ein untrügliches Gespür besitzt für ein junges Lebensgefühl zwischen Lethargie, Sehnsucht, Aufbruch und Scheitern. Rau war der Film, schmerzlich echt, was nicht zuletzt auch an der Newcomerin Katie Jarvis lag, deren Unmittelbarkeit und Spontaneität Arnolds Ansatz kongenial unterstützte.

Auch „American Honey“ handelt von jungen Menschen, und wieder hat Arnold die Hauptrolle mit einer Laiin besetzt, von der sie nicht unwesentlich profitiert. Während „Fish Tank“ aber vornehmlich in einer tristen englischen Trabantenstadt und den Innenräumen einer beengten Sozialwohnung spielte, weitet Arnold in ihrem US-Debüt den Raum: „American Honey“ ist ein Roadmovie. Doch schon das selten genutzte, schmale 4:3-Bildformat verrät, dass das „On the Road“-Freiheitsgefühl, mit dem der Film spielt, Teil einer Selbsttäuschung ist.

Debütantin Sasha Lane spielt die 18-jährige Star, die in prekären Verhältnissen lebt: die Zimmer gesäumt von Essensresten, die kleine Schwester vernachlässigt, von ihrem Alkoholikervater wird Star missbraucht. Eigentlich ein einziges White-Trash-Stereotyp – der Film hält sich aber gerade lang genug in der heruntergekommenen Wohnung auf, um nachvollziehbar zu machen, weshalb Star nur kurz zögert, als sie im Supermarkt von Jake (brillant: Ex-„Transformers“-Star Shia LaBeouf) auf einen Trip durch die USA eingeladen wird. Jake ist der Anführer einer Drückerkolonne, die von Bundesstaat zu Bundesstaat fährt und Magazine vertickt – für Star eine Chance, ihrem trostlosen Alltag zu entkommen.

Sie schließt sich der Gruppe an, mit der sie fortan quer durch das Land reist, durch die Vorstädte, den Bible Belt, ärmliche Sozialsiedlungen und karge Industrieödnis. Die Musik wird laut aufgedreht, man bekräftigt einander in seiner Autarkie, doch wirkliche Freiheit, das ist der bittere Kern dieses Films, ist in Amerika eben doch nicht möglich. Für ihre vermeintliche Unabhängigkeit sind auch die Jugendlichen dazu gezwungen, ihre Tage streng durchzustrukturieren. Ihren Lebensunterhalt verdient sich die Gruppe an den Türen und in den Wohnzimmern fremder Menschen, denen sie Abonnements andrehen. Jeden Tag von Neuem, bis es wieder weitergeht, in eine andere Stadt, ein anderes Stückchen amerikanischer Wirklichkeit, in der Dramaturgie folgerichtig lose und repetitiv.

„American Honey“ ist ein vielstimmiger Querschnitt durch die USA, der gerade durch Arnolds sowohl faszinierten als auch angemessen nüchternen Blick von außen an Reiz gewinnt. Detailaufnahmen von Vögeln, Insekten und anderen Tieren richten die Perspektive wieder nach innen, verweisen poetisch auf Stars Sprunghaftigkeit, aber auch ihr Gefangensein und ihren Durst nach Selbstbestimmung. Obwohl Arnold ihre realistische Sicht behält, ist der Film alles andere als freudlos, pulsiert zu Musik von Rihanna bis Trap – auch hier ist er ganz nah an der porträtierten Lebenswelt. „American Honey“ ist auch großes, ungestümes, stellenweise atemstockend schönes Popkino. Am Schluss tanzen die Figuren zu Raurys erhabenem Song „God’s Whisper“ gegen den Stillstand an. Tatsächlich ein Moment utopischer Magie, bevor der Film mit einer optimistisch-kämpferischen Geste endet. (sb)

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