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Arcade Fire: Everything now

Nachdem der vorab veröffentlichte Titelsong auf Schlagerreferenzen und ein Panflötensolo setzt, waren sich viele Fans unsicher, ob sie sich auf das fünfte Arcade-Fire-Album wirklich freuen sollen.

So groß das Geschrei am Anfang auch war, mit ein wenig Eingewöhnungszeit konnten viele sich dann doch mit den an Abbas „Dancing Queen“ erinnernden Streichern und all den anderen Käsigkeiten arrangieren – zumal „Everything now“, die Single, in ein kathartisches Stadionrockfinale mündet. Und kurz darauf legten Arcade Fire mit einem zweiten Vorabsong nach, der auch den Anhängern des emotionalen Rasselbandenpops der frühen Tage wieder mehr als nur ein guilty pleasure war: Bei der eingängigen Synthiehymne „Creature comfort“ singen Win Butler und seine Ehefrau Régine Chassagne im Call-and-response-Muster über Teenagerselbstmorde wegen Mobbing und vermeintlichen Andersseins. Endlich war da wieder eine unwiderstehliche Refrainzeile, die Pop mit all den ganz großen Gefühlen auflädt: „God, make me famous, if you can’t make it painless.“ Aber reichte das wirklich schon zur kompletten Entwarnung?

Jetzt ist „Everything now“, das Album, endlich da, und tatsächlich kann man höchstens noch beim pluckerigen „Put your Money on me“ über Querverweise zum schwedischen Trash-Vierer diskutieren. „Signs of Life“ macht mit Handclaps, Bläsern und funky Basssounds auf, und „Electric Blue“ säuselt Chassagne im Alleingang – doch auch die Disco-Referenzen sind überschaubar. Wenn der Vorgänger „Reflektor“ vor vier Jahren ein Lagerspalter war, der mit Elektrospielereien die alten Fans verschreckt und neue rekrutiert hat, bringen die Kanadier jetzt ihre verschiedenen Schaffensphasen auf „Everything now“ zu einem ambitionierten Einklang. So klingt „Chemistry“ wie eine zeitgemäße Neuauflage von Joan Jetts „I love Rock’n’Roll“, und „Infinite Content“ kommt zunächst als rumpeliger Rocksong daher, um dann im Anschluss mit dem Titel „Infinite_content“ als anschmiegsame Americana-Nummer zurückzukehren. Passend dazu betreibt Butler in den Texten Zeitdiagnostik, der niemand widersprechen kann: die ungemeine Schnelllebigkeit, das Fehlen jeglicher Gewissheit, der komplett an die Wand gefahrene amerikanische Traum. Und es passt auch, dass Arcade Fire schon vor der Veröffentlichung bewiesen haben, dass sie die derzeit wohl weltbeste Stadionrockband sind. Da punktet dann nämlich nicht nur das Finale von „Everything now“, der Single. Selbst die Songs vom Debüt „Funeral“ haben ja viele „Ohs“ und „Aaahs“ zum Mitgrölen. Und zu ihnen kann man dann irgendwie doch auch ganz wunderbar Discofox tanzen.

Carsten Schrader

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