Zum Inhalt springen

Dead Can Dance: Dionysus

Brendan Perry von Dead Can Dance im Interview zum neuen Album „Dionysus“

Brendan Perry und Lisa Gerrard sind 16 Jahre lang getrennte Wege gegangen, dann kam im Jahr 2012 das Comebackalbum „Anastasis“, und erneut vier Jahre später liegt jetzt ein weiteres Album des Ethno-Wave-Duos vor. Mit dem als Oratorium angelegten Konzeptalbum „Dionysus“ huldigen sie dem Gott des Weines, der Ekstase und des Wahnsinns. Im Interview mit kulturnews erzählt Brendan Perry, dass er von Friedrich Nietzsche inspiriert wurde, sich ausführlicher mit Dionysos zu beschäftigen: „Als ich vor etwa zwei Jahren Friedrich Nietzsches Buch „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“ gelesen habe, war das eine Offenbarung für mich: Wenn er darin die Verbindung von Intellekt, Kontrolle und Struktur auf der einen Seite und Affekten, Träumen und ritueller Selbsterfahrung auf der anderen beschreibt, dann bildet er genau das ab, was Lisa und ich seit Jahren mit der Musik von Dead Can Dance umsetzen. Nach der Lektüre war ich von Dionysos fasziniert und habe intensiv geforscht, wie sich der Mythos und der Kult im Laufe der Jahrtausende verändert haben.“

Hier das kürzlich von kulturnews geführte Interview mit Dead Can Dance:

kulturnews: Brendan, war gesetzt, dass „Dionysus“ eine neue Dead-Can-Dance-Platte wird, oder hast du auch mit dem Gedanken gespielt, die Songs für ein Soloalbum zu verwenden?

Brendan Perry: Es ging nie um einzelne Songs, da mir von Anfang an klar war, dass ich meine Auseinandersetzung mit dem Dionysoskult als Oratorium anlegen wollte. Das Konzept basiert auf Chorstücken, die ich als Bewegungen, aber nicht als Songs definiere, und es stand außer Frage, es ohne Lisa umzusetzen.

kulturnews: Hat sich die Zusammenarbeit mit Lisa Gerrard verändert? Ihr seid lange Zeit getrennte Wege gegangen, bis ihr dann 2012 nach 16 Jahren Plattenpause mit „Anastasis“ ein neues Album veröffentlicht habt.

Brendan Perry: Nö. Ich habe das thematische Konzept geschrieben und bin für die Arrangements verantwortlich – aber auch in der Vergangenheit habe ich für Lisa geschrieben. Wenn ich an einem Stück für sie dran war, habe ich es irgendwann beiseite gelegt, bis sie zu mir ins Studio gekommen ist und wir es gemeinsam fertiggestellt und umgesetzt haben.

kulturnews: Wie bist du darauf gekommen, dich so intensiv mit Dionysos auseinanderzusetzen?

Brendan Perry: Als ich vor etwa zwei Jahren Friedrich Nietzsches Buch „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“ gelesen habe, war das eine Offenbarung für mich: Wenn er darin die Verbindung von Intellekt, Kontrolle und Struktur auf der einen Seite und Affekten, Träumen und ritueller Selbsterfahrung auf der anderen beschreibt, dann bildet er genau das ab, was Lisa und ich seit Jahren mit der Musik von Dead Can Dance umsetzen. Nach der Lektüre war ich von Dionysos fasziniert und habe intensiv geforscht, wie sich der Mythos und der Kult im Laufe der Jahrtausende verändert haben.

kulturnews: Die Aspekte, die du thematisierst, haben starke Bezüge zur gegenwärtigen politischen Situation, etwa wenn Dionysos in „Sea Borne“ als Gott der Außenseiter charakterisiert wird.

Brendan Perry: Das Christentum hat sich viele der heidnischen Bräuche und Traditionen einverleibt. Die Leute, die Dionysos angebetet haben, waren leicht für einen neuen Menschengott zu gewinnen, und so wurde durch christliche Moralvorstellungen nach und nach ein patriarchales System installiert. Aber Dionysos ist ein Gott, der ganz besonders Frauen, Sklaven und Menschen repräsentiert, die nicht in die patriarchalen Konventionen der Gesellschaft passen. Während heute überall in Europa die Grenzen wieder hochgezogen werden und rassistisches Gedankengut starken Zulauf gewinnt, geht es beim Dionysoskult um Universalität und die Aufhebung von Barrieren.

kulturnews: Hast du selbst auch Erfahrungen mit halluzinogenen Drogen gemacht und Peyote ausprobiert?

Brendan Perry: Klar, nur hat das eben rein gar nichts damit zu tun, wie wir Drogen hier bei uns zur Entspannung einwerfen und uns in Clubs dann eher vereinzeln statt vernetzen. Die Maske auf dem Cover stammt von den Huicholen, die in der mexikanischen Wüste leben und die meskalinhaltigen Kakteen für ihre Rituale nutzen. Sie nehmen die Droge im Kollektiv, um eins mit der Natur zu sein und ihre Sensibilität zu erhöhen.

kulturnews: Hast du „Liberator of Minds“ in einem ähnlichen Zustand komponiert?

Brendan Perry: Ach was, meine Drogenerfahrungen liegen schon einige Jahre zurück. (lacht) Ich konnte aus ihnen schöpfen und habe versucht, einen musikalischen Trip zu kreieren, der eine ähnliche Wirkung hat und dem Hörer die Befangenheit und seine Hemmungen nimmt. Die Maske auf dem Cover habe ich schon vor langer Zeit in einem Supermarkt in Mexiko City gekauft, und sie hängt seit 20 Jahren an meiner Wand. Aber der Verkäufer war ein Huichole, und ironischerweise hieß er Jesus.

kulturnews: Trotzdem bist du für das Album weit gereist, wenn man bedenkt, dass du Field Recordings von Schweizer Ziegenhirten, Bienenkörben aus Neuseeland und Vogelrufen aus Lateinamerika eingebaut hast.

Brendan Perry: Da konnte ich mich im Internet bedienen, wo man mittlerweile unzählige lizenzfreie Aufnahmen in atemberaubender Qualität findet. Ich wusste genau, was ich haben wollte, um zusammen mit Musikinstrumenten, die Naturgeräusche und Tierlaute imitieren, meine Soundscapes zu bauen. So habe ich einen Rahmen für die dramatische Handlung, der zugleich zeigt, dass Musik in wirklich allen Dingen steckt.

kulturnews: Werdet ihr das „Dionysus“-Werk in voller Länge aufführen und von den älteren Stücken separieren, wenn ihr im nächsten Sommer auf Tour kommt?

Brendan Perry: Wir werden auf der Tour keinen einzigen Ton von der neuen Platte spielen. Dafür bräuchten wir ein großes Ensemble mit mindestens sechs Sängerinnen und vielen Multiinstrumentalistinnen. Ich möchte das Werk nicht zerteilen, andererseits ist es auch nicht so lang, sodass es nur ein halbes Konzert trägt. Mit unseren älteren Songs ist es meiner Meinung nach nicht kongruent. Auf der Tour werden wir viele Stücke aus den 80ern und 90ern spielen, die wir für unsere Studioalben aufgenommen und nie zuvor live gespielt haben. Inzwischen haben wir viele jüngere Bewunderer, die mit unseren älteren Sachen nicht vertraut sind, und wir nutzen diese Konzerte, um unsere Geschichte und unser Erbe zu feiern.

kulturnews: Wird es denn überhaupt mal eine Gelegenheit geben, „Dionysus“ live zu erleben?

Brendan Perry: Im nächsten Jahr spielen wir die angekündigten Konzerte mit Dead Can Dance, und ich werde auf Solotour gehen. Zudem ist für 2020 bereits eine große Dead-Can-Dance-Welttournee in Planung. Warten wir mal ab, wie unsere neue Platte aufgenommen wird. Vielleicht gelingt es uns ja, einen Kult auszulösen, und dann kann man noch mal neu überlegen, wie man die Musik rituell zelebriert.

Interview: Carsten Schrader

Beitrag teilen: