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Einfach das Ende der Welt

Regisseur Xavier Dolan beweist mit seinem in Cannes prämierten Drama „Einfach das Ende der Welt“ erneut, dass er der Spezialist für Geschichten über dysfunktionale Familien ist.

Wenn der kanadische Regisseur Xavier Dolan in einer Rückblende den Euordance-Nervtöter „Dragostea din tei“ mit Wehmut und Sentimentalität auflädt, dann brennt sich das gerade deshalb ein, weil Dolan in seinem Familiendrama „Einfach das Ende der Welt“ ungewohnt sparsam Videoclipmontagen verwendet und mit ihnen ganz geschickt Leerstellen setzt: In einer weiteren deutet er an, dass ein verstorbener Exfreund der Grund dafür gewesen sein könnte, warum sein Protagonist Louis vor zwölf Jahren seine Familie verlassen hat. Auch den Grund für seine Rückkehr zu einer Familienzusammenkunft hält Dolan offener als das zugrunde liegende Theaterstück von Jean-Luc Lagarce: Louis will seiner Familie mitteilen, dass er bald sterben wird, doch dass er an Aids erkrankt ist, wird im Film nicht explizit gesagt. Will Dolan den Zuschauer mit der Tatsache konfrontieren, dass er bei einem schwulen Protagonisten schon automatisch diese Diagnose trifft?

Die Filme des frankokanadischen Regisseurs sind schwer zu ertragen, und „Einfach das Ende der Welt“ ist noch weniger auszuhalten als „Mommy“ (2014). Wie bei „Sag nicht, wer du bist“ wählt er das Kammerspiel – nur dass hier das Thrillerelement fehlt und der Schrecken sich einzig und allein in der Familie zu suchen ist. Dolan spielt ganz bewusst mit der Unausgegorenheit – theaterhaftes Redefeuerwerk, hyperstilisierte Musiksequenzen, überspannte Melodramatik – und macht sie zum Stilmittel, bis es dann irgendwann auch schon egal ist, ob er mit seinen oft eingesetzten Close-ups auch die verzweifelte, ratlose Person einfängt, die gerade spricht.

Wenn Louis am Parfum seiner Mutter riecht, die Geste fast beiläufig in eine zaghafte Umarmung mündet; wenn ein Gespräch zwischen Louis und seiner Schwägerin ins Stocken gerät und Dolan daraufhin Blicke erzählen lässt, das Ungesagte nur von leise anschwellendem Streicherpathos kommentiert wird – dann gelingen dem kanadischen Filmemacher einige intensive, zärtliche Momente. Doch mögen viele Szenen noch so intensiv und schön sein, manchmal gelingt es einfach nicht, die Kommunikationsbarrieren aus dem Weg zu räumen. Willkommen in der Familie. cs/sb

Einfach das Ende der Welt kommt am 29. Dezember 2016 in die Kinos. Wo und wann der Film genau läuft, erfährst du auf unserer Seite daskinoprogramm.de.

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