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The House that Jack built

Lars von Trier erzählt in seinem Skandalfilm „The House that Jack built“ von seiner eigenen Krise – und vergleicht sich mit einem Serienkiller.

Man muss das gesehen haben: Ein erschreckend schwerfälliger Lars von Trier, der aussieht, als sei er seit seinem letzten Film im Jahr 2013 um zwei Dekaden Jahre gealtert, betritt unter minutenlangen Standing Ovations das Grand Théâtre Lumière beim Filmfest von Cannes. In seinem Gesicht zeichnet sich Genugtuung ab. Vor sieben Jahre war er hier zur Persona non grata erklärt worden, nachdem er sich auf einer Pressekonferenz zu der Behauptung verstiegen hatte, er sei ein Nazi. Nun wird der Däne wieder mit offenen Armen empfangen. Gleichzeitig sieht man ihm bereits die Ahnung an, dass sich der Jubelsturm nur drei Stunden später in neuerliche Aufregung verwandeln könnte. Und von Trier soll recht behalten: Eine kolportierte Hundertschaft von Zuschauern verlässt während der Galapremiere von „The House that Jack built“ entrüstet den Saal, und Lars von Trier bestätigt einmal mehr sein Image des Skandalregisseurs. All die Aufregung war natürlich öffentlichkeitswirksam – dem Film wird sie aber nicht gerecht.

Der Regisseur als Killer

Jack (so gut wie nie: Matt Dillon), von Triers erste männliche Hauptfigur seit zwölf Jahren, ist ein soziopathischer Massenmörder. In fünf vermeintlich zufällig ausgewählten „Ereignissen“ berichtet er dem mysteriösen Verge (Bruno Ganz) von seiner 60 Morde umfassenden Laufbahn. Dass Jack seine Morde als Kunstwerke betrachtet, dabei seinen eigenen Ambitionen aber niemals gerecht wird, ist der offensichtliche Hinweis darauf, dass von Trier sich und seinen Ruf in der Figur des Jack wieder einmal ausgiebig bespiegelt. Durchaus ironisch belegt er den Mörder mit sämtlichen Attributen, die ihm selber praktisch seit Beginn seiner Karriere anhängen: Jack ist manisch, manipulativ und misogyn, ein Neurotiker und Sadist. Wo von Trier seiner eigene nihilistische Weltsicht in vorherigen Filmen mit Empathie trotzte und sich solidarisch mit seinen geknechteten Protagonistinnen zeigte, ist „The House that Jack built“ ganz der Perspektive des Killers unterworfen, der menschliche Regungen vor dem Spiegel üben muss – und nicht einmal davor zurückschreckt, in einer Art Jagdritual zwei Kinder vor den Augen ihrer Mutter zu ermorden. Nur die Stimme von Verge lenkt dann und wann als eine Art moralischer Kompass ein, empört sich über Jacks Niederträchtigkeit, hinterfragt sein offensichtlich gestörtes Verhältnis zu Frauen oder entlarvt seine Erzählungen als selektiv und unzuverlässig.

Krass – und komisch

Wie schon in seinem vorherigen Film, dem Sexepos „Nymph()maniac“, durchsetzt Lars von Trier die Handlung mit philosophischen sowie kultur- und kunstgeschichtlichen Abschweifungen, die mit Archivmaterial illustriert werden – einmal sogar mit Bildern aus von Triers eigenen Filmen. Das geht hier nicht so gut auf wie im Vorgänger, hat aber auch eine andere Funktion: Während in „Nymph()maniac“ der Quasi-Beichtvater Seligman die Exkurse dazu nutzte, um die von Charlotte Gainsbourg gespielte Joe vor sich selbst zu verteidigen, benutzt Jack sie zur Rechtfertigung seiner eigenen Untaten – und durchkommen lassen will von Trier ihn damit nicht. „The House that Jack built“ ist Offenbarungseid, Entschuldigung, selbstreflexives Zwiegespräch und neuerliche Provokation in einem, und es ist ein Film, dem man die Krise seines Schöpfers ansieht: formal eine Wiederholung, unnahbar, im Tonfall uneben, mit nur wenigen motivischen Schauwerten ausgestattet und nicht gerade arm an Redundanzen. Er hält aber auch Überraschungen bereit: etwa die Tatsache, dass er auch als Komödie funktioniert. In der zweiten Episode verschafft sich Jack zunächst umständlich Zutritt zum Haus eines Opfers, begeht einen stümperhaften Mord und kehrt anschließend aufgrund seiner Zwangsstörung immer wieder zum Tatort zurück, selbst dann noch, als die Polizei anrückt – das hat gar die Qualität eines Sketches.

Erst im spektakulären Epilog knüpft der Film dann an die visuelle Opulenz von Meisterwerken wie „Melancholia“ oder „Antichrist“ an: Von Trier lässt den Killer wortwörtlich ins Fegefeuer stürzen. Doch wenn Jack am Ende doch nur von Trier selbst ist – was soll dann nach der Hölle noch kommen?

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