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Gerhard Henschel: Erfolgsroman

Heschel

Die Schlosser-Romane werden immer mehr zu einem Making-of des Schriftstellers Henschel.

„Eine ,städtebauliche Rumpelkiste?‘ Satirische Veröffentlichung über Vallendar erregt Gemüter. Bürgermeister beruft für Montag Sitzung ein.“ Seit dem Umzug der Familie nach Meppen hatte sich Gerhard Henschels Alter Ego Martin Schlosser bitter darüber beklagt, dass seine Eltern aus der kleinen Stadt bei Koblenz weggezogen waren, jetzt verdient er sein erstes Geld damit, sich satirisch an Vallendar auszutoben und Presse wie Politik seiner ehemaligen Heimat Kopf stehen zu lassen. Ja, Martin Schlosser verdient nach Studienabbruch, Hilfsarbeiterjobs und Tresendienst erstmals richtig Geld als Schriftsteller, weshalb der achte Band der Schlosser-Reihe – angekündigt war er noch als „Dorfroman“ – jetzt „Erfolgsroman“ heißt. Dessen Handlung reicht vom Frühjahr 1990 bis zu Henschels/Schlossers Geburtstag 1992. Erneut gelingt es dem von der Satire und der Glosse kommenden Henschel, mit Kleinigkeiten wie dem Ausfüllen von VG-Wort-Formularen, Fensterputzen, Malefiz-Duellen mit Oma Jever und der ständigen Kommentierung von gelesenen Zeitungsartikeln und Büchern, Zeitkolorit entstehen zu lassen und die damals geführten politischen und kulturellen Diskurse kurz und klug einzubinden. Dass hinter dem so locker zu lesenden Roman harte Recherche steckt und – was viel wichtiger ist – ein vorbildlich geführtes Archiv, übersieht man bei der Lektüre nur zu gern. Und wenn Schlosser im Roman seine Verwandtschaft besucht und dort am Abend Aktenordner voller Briefe dieser Verwandtschaft mit ins Bett nimmt und schmökert, weiß man: Henschel ist Jäger und Sammler gleichzeitig.

Mit dem Erfolg kommen auch die Kontakte: Schlosser zieht mit den Redakteuren der Satirezeitschrift Kowalski durch Hamburger Kneipen, geht bei Katharina und Michael Rutschky in Berlin ein und aus und zieht dann auch erneut nach Berlin. Er beginnt u. a. für Konkret, Der Alltag, die Frankfurter Rundschau zu schreiben. Dann antwortet auf ein satirisches Preisausschreiben ausschließlich für Frauen im Kowalski als Einzige die 20-jährige, rotzfreche Kathrin Passig und will ihn kennenlernen. Für ein knappes Jahr werden sie ein Paar, was immerhin dafür sorgen sollte, dass die beiden leidenschaftlichen Dylan-Fans später gemeinsam dessen „Chronicles Vol. 1“ übersetzten. Fazit: Henschels Schlosser-Romane werden immer mehr zu einem Making-of des Schriftstellers Henschel. Wie soll das erst werden, wenn Schlosser beginnt, die Schlosser-Romane zu schreiben? jw

Hoffmann & Campe, 2018, 610 S., 26 Euro

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