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Karl Wolfgang Flender: Helden der Nacht

Hat ein altmodischer Detektiv im Hipster-Berlin überhaupt noch eine Chance? Karl Wolfgang Flender zeigt in „Helden der Nacht“, dass man die IT-Branche auch mit Schlapphut in die Knie zwingen kann.

Sex! Alkohol! Pistolen! Wieso kann mein Leben nicht hardboiled sein? Aufregend und cool wie das von Sam Spade oder Mike Hammer? Bryans Vorbilder sind die Helden der Krimiklassiker, er liebt Noir-Filme und die Detektivserien der 70er und 80er. Trotzdem gammelt er sich im Berlin von heute nur gelangweilt durchs Studium. Als sein Papa zur Kur muss, kommt die große Chance: Im Hawaiihemd und mit Magnum-Schnäuzer wird er Aushilfsdetektiv in dessen Detektivbüro „Auster“. Bald ist er jedoch genervt von öden Beschattungen, langweiligen Bagatellfällen und dass Mama gerade dann anruft, wenn er jemanden verfolgt. Auch keine Femme fatale stöckelt in sein Büro, seitdem Laura ihn verlassen hat. Die startet jetzt bei der „Valhalla Capital“ durch. Dort wird in Internet-Startups investiert, und der neueste Hype ist ausgerechnet eine App, die jeden zum Detektiv werden lässt. Keine Zukunft also für eine Klitsche, die immer noch auf Fingerabdruckpulver, Fake-Ausweise und Fast-Food-Freddy als Informanten setzt. Erst Kifferfreund Kenny bringt Schwung in die Bude. Der Computer-Nerd hat im Darknet die Datenbank des Valhalla-Seitensprung-Portals „SideStep“ besorgt – und mit der kann die „IT-Detektei Auster“ gehörnten Ehepartnern schnell Beweise für die Untreue ihrer Liebsten liefern. Prompt brummt der Laden und Bryan muss sogar Papis abgehalfterte Schlapphutkumpel aus ihrer Kaffee-Cognac-Lethargie rausholen und als Hilfe rekrutieren. Doch natürlich ist der obskure Valhalla-Chef Lance Kilbourne sauer auf den Datenklau. Und ihm passt auch nicht, dass Colleen McCollum von der Kripo Berlin sein „SideStep“ auf dem Radar hat. Nicht nur privat – um ihren Marktwert zu testen – sondern auch wegen Audrey Estrelle, die mehrere Männer nach dem Seitensprung erpresst hat und erschossen wurde. Wer war der Täter, der Estrelle zunächst gezwungen hat, sich selbst ihren Ringfinger abzusägen und ihn an die Wand zu nageln? Steckt hinter Valhalla mehr, als Kilbourne zugibt? Die Suche nach dem Mörder von Audrey, weitere abgetrennte Finger und ein dubioses Gangsterpärchen führt Bryan, Kenny und Colleen schließlich zur gemeinsamen Jagd auf eine okkulte Organisation. Doch wegen Kennys ganzem Drogenzeugs weiss man bald nicht mehr, wer da wem etwas vorspielt und in welchem Film man eigentlich gerade ist. Wollen etwa doch Reptilienwesen die Weltherrschaft übernehmen?

Karl Wolfgang Flender verquirlt Verehrung mit Spott, wenn er genüsslich Filmfloskeln und Genreklischees vorführt oder radikal gegen den Strich bürstet. Dabei entlarvt er nicht nur anachronistische Detektivposen, sondern auch die der gernegroßen IT-Hipster von heute. Krimikenner werden ihren Spaß mit zitierten Szenen und leicht verfremdeten Namen von Autoren- und Romanfiguren haben. Dass Flender mancher Erzählstrang etwas entgleitet, hat genauso Charme wie der sich amüsant hochdrehende Plot. Am Ende zerplatzt er wie ein rohes Ei im Mixer. Statt Hardboiled also Rührei: Auch sehr lecker, und mit viel Effet serviert. nh

Karl Wolfgang Flender Helden der Nacht

DuMont 2018, 400 S., 22 Euro

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