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Vice – Der zweite Mann

Erkennen Sie diesen dicken, glatzköpfigen Mann da? Ex-US-Vizepräsident-Dick Cheney, ja. Aber auch: Christian Bale.

Als Christian Bale bei der Verleihung der Golden Globes dem Teufel für die Inspiration bei der Darstellung des ehemaligen US-Vizepräsidenten Dick Cheney in „Vice – Der zweite Mann“ dankte – da übertrieb er nicht. Denn Regisseur Adam McKay inszeniert den weißhaarigen Politiker als mächtigen Schattenmann und Einflüsterer, als demütigen Jago der amerikanischen Politik, als dunkelsten Puppenspieler unter all den dunklen Puppenspielern, die Amerika seit der Ära Nixon Geld, Macht, Energie und geopolitischen Einfluss verschaffen.

Mit den Mitteln von Michael Moore

McKay, der von der Komödie kommt und lange für „Saturday Night Life“ geschrieben hat, geht die Geschichte des mächtigsten Vize der US-Geschichte ähnlich an wie seine grandiose Finanzkrisen-Satire „The big Short“ von 2015: mit Comedy, wilden Szenenwechseln, Unerwartetem wie einem vermeintlichen Filmende nach einer Stunde und einem Erzähler, für den die Sache mit Cheney gegen Ende zur sprichwörtlichen Herzensangelegenheit wird. So macht McKay eine hochkomplexe Materie konsumierbar. Die Struktur ist episodenhaft: Cheneys Anfänge, sein Aufstieg, seine Ehe, sein Scheitern, sein erneutes Emporsteigen, der unerfüllte Wunsch nach der Präsidentschaft – als das beleuchtet McKay pointiert und auch mit den Mitteln des Dokufilmers Michael Moore: „Vice – Der zweite Mann“ ist kein Biopic, er ist eine elektrifizierende, beißende und teils verstörende Anklage gegen eine rechtskonservative und neoliberale Schattenherrschaft innerhalb der US-Politik. Cheney, so McKay, hat Ende der 70er mitgeholfen, die obamaeske Liberalität der Gesellschaft unter Jimmy Carter mit einer erkonservativen Gegenbewegung auszumerzen, er hat die Regierung unter dem unerfahrenen und naiven Bush Junior gekapert, mit seinen Leuten unterwandert und seine eigenen Ziele verfolgt. Er trägt die Schuld an Hunderttausenden von Toten, die der aus wirtschaftlichen Interessen von ihm herbeigeführte und orchestrierte Irakkrieg nach sich zog. Cheney ist ein Anhänger der Unitary Executive Theory, wonach der US-Präsident die alleinige Macht über die Exekutive haben sollte – und ganz wie ein König über dem Gesetz steht; ein skrupelloser Machtmensch, der Waterboarding schon deswegen nicht als Folter bezeichnete, weil die USA es praktizierten, womit es per se nicht illegal sein konnte, und der spät im Leben auch seine lesbische Tochter für die politische Karriere der anderen Tochter opfert.

Polarisierend und brillant

Das scheint starker Tobak, doch sind das keinesfalls Geheimnisse – die US-Gesellschaft ignoriert sie nur lieber. Bale spielt den Bürokraten Cheney mit Extrakilos, Halbglatze und viel Make-up als eine Mischung aus Brandos Paten und Muppet-Show-Figur, halb Parodie, halb Mimikry. Sam Rockwell verkörpert Bush Junior, als wäre er Bush Junior. Steve Carell ist als Donald Rumsfeld Cheneys Förderer und partner in crime, Amy Adams als Cheneys Gattin Lynne die starke, ebenso machthungrige Frau hinter dem erfolgreichen Mann. Eine erschütternde Szene gibt die Brillanz dieses polarisierenden Films am besten wieder: Bush verkündet der Nation 2003 den Beginn des Irakkriegs, sein Fuß tappt unter dem Tisch vor Anspannung hektisch auf und ab. Schnitt. Eine irakische Familie versteckt sich in Todesangst vor dem Bombardement der US-Luftwaffe unter ihrem Tisch. Der Fuß des Mannes tappt vor Panik auf und ab. Explosion. Besser kann man eiskalte politische Grausamkeit und ihre Folgen für die Menschen ganz anderswo auf dem Planeten filmisch nicht in Verbindung setzen. „Vice – Der zweite Mann“ streift in Teilen die Genialität. vs

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