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Michel Faber: Das Buch der seltsamen neuen Dinge

Höchste Zeit, die eigenen Vorurteile zu hinterfragen – ansonsten verpasst man mit Michel Fabers neuem Roman „Das Buch der seltsamen neuen Dinge“ eine der bewegendsten Liebesgeschichten aller Zeiten.

Michel Faber ist schon an sich ein schwieriger Typ, der sich keinen Deut für die Spielregeln des Literaturbetriebs interessiert: Da veröffentlicht er im Jahr 2002 einen tausendseitigen Roman über eine Prostituierte im viktorianischen London, an dem er 20 Jahre lang gearbeitet hat. Doch als „Das karmesinrote Blütenblatt“ dann auch tatsächlich ein internationaler Bestseller wird, zieht sich der in den Niederlanden geborene, in Australien aufgewachsene und heute in England lebende Autor komplett aus der Öffentlichkeit zurück, um vier Jahre später mit einer Neubearbeitung des Prometheus-Mythos’ namens „The Fire Gospel“ ein komplett unverkäufliches Buch vorzulegen, das bis heute auf eine deutsche Übersetzung wartet. Faber hatte Glück, dass 2013 der Film „Under the Skin“ mit Scarlett Johansson in die Kinos kam, denn die auf sein Frühwerk „Die Weltenwandlerin“ basierende Adaption holt seinen Namen ins Gedächtnis zurück und ebnet den Weg für ein neues Buch: Mit dem ein Jahr später erscheinenden Science-Fiction-Roman „The Book of strange new Things“ landet der heute 58-Jährige erneut einen internationalen Verkaufserfolg – nur die deutschsprachigen Verlage zeigen keinerlei Interesse an dem Manuskript.

In Deutschland hält sich der Dünkel gegenüber Science-Fiction-Literatur hartnäckig, und weil sowohl Lektoren als auch das Feuilleton bei Zukunftsszenarien sofort dichtmachen, bekommen auch die Leser kaum eine Chance, ihre Meinung zu revidieren. So einstimmig die Kritiker etwa die früheren Romane von Thomas von Steinaecker feierten, so einig war man sich auch vor zwei Jahren, seine hintergründige und zugleich ungemein spannende Dystopie „Die Verteidigung des Paradieses“ besser gar nicht erst zu thematisieren. Selbst Leif Randt, der einen entlarvenden und vollkommen neuartigen Wohlfühlsound etabliert hatte, wurde als literarischer Wonderboy abgesägt, weil er „Planet Magnon“ in anderen Sonnensystemen spielen ließ. Und wenn dank des Schweizer Verlags Kein & Aber mit „Das Buch der seltsamen neuen Dinge“ nun endlich eine deutsche Übersetzung von „The Book of strange new Things“ vorliegt, könnte man vor lauter Zukunftsangst eine berührende Studie über das Verschwinden von Liebe verpassen.

Es war ihr nicht böse, das stimmte, aber auch sonst empfand er beunruhigend wenig außer dem Stress, der durch seine Unfähigkeit ausgelöst wurde, ihr angemessen zu antworten. Unter den gegebenen Umständen war es schwierig, Gefühle festzuhalten und ihnen einen Namen zu geben.

Ursprünglich war der Roman von Faber tatsächlich als Antihaltung konzipiert: Entsetzt über 9/11 erfand er einen Planeten namens Oasis und wollte nur Außerirdische als Romanpersonal. Doch dann wurde bei Fabers Frau Krebs diagnostiziert, die Arbeit an dem Buch kam zwischenzeitlich zum Erliegen, und als sie ihn kurz vor ihrem Tod zum Weiterschreiben überreden konnte, war der Plot ein anderer: Im Auftrag eines Konzerns, der auf Oasis eine Forschungsstation betreibt, reist Pastor Peter Leigh als Missionar auf den fernen Planeten. Seine geliebte Ehefrau Bea muss er auf der Erde zurücklassen – nur über ein intergalaktisches Mailprogramm können sie sich schreiben – und während Peter immer mehr in die Welt der Außerirdischen eintaucht, die ihn wie einen Gott verehren, ist Bea auf der Erde mit immer heftigeren Naturkatastrophen und kriegerischen Auseinandersetzungen konfrontiert.

Sie hatte ihm zwar versichert, dass er ihr fehle, dass sie ihn in den Armen halten wolle, aber insgesamt war der Ton ihrer Briefe vernünftig, zerstreut, als wäre seine Gegenwart eher ein Luxus als eine Notwendigkeit. Sie hatte sich so selbstbewusst angehört, dass ihm die Frage kam, ob er sich vielleicht in testosteronbedingtem Selbstmitleid suhlte – oder ob sie ihn womöglich so sah.

Mit der für heutige Lesegewohnheiten provozierend langsam erzählten Geschichte nähert Faber sich Sci-Fi mit Genre-Nostalgie und hebt gleichzeitig die übliche Unterteilung in Gut und Böse auf. Er wählt einen christlichen Helden, ist aber weit entfernt von tendenziöser Literatur, und stößt immer wieder ganz grundlegende Fragen über das Zusammenleben der Menschen und die Zukunft unseres Planeten an. Ihm gelingt das, obwohl er eigentlich gar nicht auf einer intellektuellen Mission ist: Faber reist vor allem nach Oasis, um den Sprachverlust eines Paares fühlbar zu machen.

Carsten Schrader

Michel Faber Das Buch der seltsamen neuen Dinge

Kein & Aber, 2018, 688 S., 25 Euro

Aus d. Engl. v. Malte Krutzsch

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