Zum Inhalt springen

Mick Herron: Slow Horses

Mick Herron startet mit „Slow Horses“ eine Serie über eine Losertruppe und entlarvt dabei nebenbei auch aktuelle britische Politik.

Schleimige Fastfoodreste, triefende Teebeutel und kalte Zigarettenasche: Den Hausmüll eines Journalisten zu durchwühlen, stinkt River Cartwright gewaltig. Der Agent des britischen Inlandgeheimdienstes hätte nie gedacht, einmal so erniedrigend nach Hinweisen auf Staatsgefährdung zu suchen. Doch für anspruchsvolle Aufgaben beim MI5 hat er sich nach einer vermasselten Überwachung erstmal genauso disqualifiziert wie Catherine mit ihrer unberechenbaren Schnapsnasigkeit oder Min, die blöderweise eine CD mit Top-Secret-Aufkleber im Zug vergessen hat. Und wer patzt, wird in die ungeliebte Bruchbuden-Zweigstelle des Service versetzt, in der verwitterter Putz schon aus purer Langeweile von den nikotingelben Wänden fällt. Im Slough House ist man fortan den Schikanen des miesepetrigen Arschlochs Jackson Lamb ausgesetzt, darf seine Skills im Aktenschreddern perfektionieren, Daten von abgeschlossenen Fällen eingeben oder staubtrockene Statistikberichte verfassen. Cartwright weiß, dass er von der Service-Zentrale bewusst gelinkt wurde und mit seiner Versetzung kaltgestellt werden soll. Als er bei seinen Recherchen erfährt, dass ein pakistanischer Junge von Fanatikern entführt und hingerichtet werden soll, sieht er die Chance, sich zu rehabilitieren. Doch weiß er nicht, auf welcher Seite seine Kollegen – der Journalist Hobden und Sesselpupser Lamb – stehen, die durch Manipulation, Desinformation und wechselnde Loyalität immer wieder überraschen. Und manche Überraschungen haben tödliche Konsequenzen …

Eine vermeintliche Losertruppe als ungewöhnliche Spezialeinheit – eine Idee, die keineswegs neu ist, gerade erst hat auch Sophie Hénaff mit „Kommando Abstellgleis“ eine für die Pariser Polizei erdacht. Motto: Ist der Ruf erst ruiniert, ermittelt’s sich völlig ungeniert! Doch Mick Herron ist im Mutterland des Agententhrillers mit Jackson Lamb mittlerweile auch in Serie erfolgreich, weil er nicht auf schnelle Schenkelklopfaction setzt, sondern gekonnt Anspielungen auf reale britische Politik mit spannend-konfusem Agententhrill mixt. Dabei zerlegt er mit trockenem Humor ehrwürdige Spionage-Stereotypen von Len Deighton bis John Le Carré und entlarvt mit gekonnt eingesetzten Perspektivwechseln die rücksichtslose Verlogenheit von Geheimdiensten und Politikern in Zeiten von Terror-Hype und Fake-News. Herron hält mit Jackson Lambs politischer Unkorrektheit den reißerischen Medien, Populisten und fanatischen Patrioten einen Spiegel vor, auf den er vorher genüsslich gerotzt hat.

Nils Heuner

Mick Heron Slow Horses: Ein Fall für Jackson Lamb

Diogenes 2018

480 S., 24 Euro

Aus d. Engl. v. Stefanie Schäfer

Beitrag teilen: