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Miku Sophie Kühmel: Kintsugi

„Kintsugi“ von Miku Sophie Kühmel

Kein Debüt hat in diesem Jahr so viele Preise gewonnen wie „Kintsugi“ von Miku Sophie Kühmel. Und das, obwohl eine große Qualität des Roman sogar geflissentlich übersehen wurde.

Miku, das Jahr 2019 ist für dich unfassbar gut gelaufen: Du hast für deinen Debütroman den Literaturpreis der Jürgen-Ponto-Stiftung und den aspekte-Literaturpreis gewonnen, außerdem hat es „Kintsugi“ auf die Shortlist für den Deutschen Buchpreis geschafft. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, dass sich einige Kritiker*innen von diesem positiven Feedback auch angestachelt gefühlt haben, dein Buch besonders spitzfindig und oft auch ungerechtfertigt zu kritisieren.

Miku Sophie Kühmel: Das kann gut sein. Ich hatte schon den Eindruck, bevor das mit der ganzen Aufmerksamkeit losging, waren die Besprechungen euphorischer und haben von einer Entdeckung geschwärmt. Aber wenn ein Buch ausgezeichnet wurde, dann ist man ja schon im Gespräch und kann nicht mehr entdeckt werden. Dann ist man für das Feuilleton eher interessant, wenn man kritisiert werden kann.

Sobald du auf der Longlist für den Buchpreis stehst, setzen die Besprechungen damit ein, ob das gerechtfertigt ist oder nicht.

Kühmel: Genau, und da hatte ich ein bisschen Angst um das Buch, weil es ja ein eher ruhiger Roman ist, der Zeit und Platz braucht. Meine Befürchtung war, dass der Roman von dieser Debattenkultur aufgefressen wird.

Kintsugi ist eine japanische Reparaturmethode für Keramik, bei der die Bruchstellen mit Gold sichtbar gemacht werden. Der Titel passt perfekt zu deinem Roman, in dem vier sich sehr nahestehende Figuren ein Wochenende in einem Ferienhaus in der Uckermark verbringen und mit Bruchstellen in ihrem Beziehungsgeflecht konfrontiert werden. Was war zuerst da – die Metapher oder der Plot?

Kühmel: Das lief parallel. Meine Hauptfrage war: Wie macht man weiter, wenn man im Leben einen Bruch erlebt hat und vor einem Scherbenhaufen steht? Da ist mir dann Kintsugi untergekommen, dieses Bild, dass der Bruch nicht nur akzeptiert und dezent kaschiert, sondern dass die Überwindung des Bruchs auch zelebriert wird. Ich habe mich immer weiter in diese Ästhetik reingelesen, und gleichzeitig wusste ich bereits, dass ich ein Kammerspiel schreiben möchte. Ich wollte vier Figuren, die abgeschlossen in einem begrenzten Raum sind, und ich wusste, dass ich nacheinander aus der Ich-Perspektive dieser Personen schreiben möchte, deren Reflektionen sich dann überlagern. Die Philosophie, für die Kintsugi ein eindrückliches Bild ist, sollte dem Buch stets wie eine zweite Haut unterliegen.

Bei den Monologen gelingt es dir, jeder Figur eine eigene Sprache und Tiefenschärfe zu geben, ohne übertrieben plakativ die Unterschiede auszustellen. Du schlüpfst in den 40-jährigen Archäologen Max und dessen langjährigen Partner Reik, der ein erfolgreicher Künstler ist. Und du erzählst aus der Perspektive von derem alten Freund Tonio und dessen 20-jähriger Tochter Pega, die mit den drei Männern als Bezugspersonen aufgewachsen ist.

Kühmel: Mir war es ganz wichtig, das nicht so holzschnittartig zu machen: Der eine redet immer im Dialekt, der andere flucht ständig, der dritte redet in ganz kurzen Sätzen und die vierte in ganz langen. In den Dialogen grenzen sich die Figuren schon scharfkantiger voneinander ab, aber bei den Denkweisen in den Monologen geht es sprachlich eher um Feinheiten. Max charakterisiert sich etwa über eine akademische, überreflektierende Art, während Pega ein jugendliches Pathos hat, das sehr zart, aber eben auch sehr organisch und körperlich ist.

Dein Roman leistet zudem etwas, was in der deutschsprachigen Literatur noch immer eine große Seltenheit ist: Queerness ist in „Kintsugi“ eine Selbstverständlichkeit, die nicht thematisiert oder problematisiert wird, sondern einfach gesetzt ist.

Kühmel: Ich merke schon, dass das nach wie vor anstößt. In gewisser Weise ist der Roman eine kleine Utopie, insofern als Labels keine Rolle spielen. Oft wurde das Romanpersonal in den Besprechungen als das homosexuelle Paar, ihr bisexueller Freund und dessen Tochter gefasst. Für mich ist es aber eher ein Viereck von vier Menschen, in dem es Begehren in verschiedene Richtungen gibt. Ich würde mir wünschen, dass Beziehungen und Anziehungen immer in Abhängigkeit von Individuen gelesen würden und es gar nicht mehr so sehr um allgemeinere sexuelle Präferenzen geht – aber das funktioniert bislang nur in einer kleinen sozialen Blase. Sobald man einen Schritt aus dieser Blase rausmacht, schlägt einem ungeahnt schnell Abneigung entgegen. Mitunter werden diese queeren Aspekte in der Rezeption des Buches unter den Tisch fallen gelassen, man fasst es gar nicht erst an. Derlei Ignoranz hat eine noch größere Perfidität, als sich offen darüber aufzuregen.

Interview: Carsten Schrader

Miku Sophie Kühmel Kintsugi

Fischer, 2019, 304 S., 21 Euro

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LESUNGEN

16. 1. 2020 Hannover

29. 1. 2020 Berlin

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