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Riad Sattouf: Esthers Tagebücher

Riad Sattouf beendet nicht nur seine Trilogie „Der Araber von morgen“, sondern haut nebenbei mit „Esthers Tagebuch“ noch ein weiteres, grandioses Werk raus.

Riad Sattouf ist der Comickünstler der Stunde. Gleich zwei Veröffentlichungen des Franzosen sind gerade auf Deutsch erschienen, ein verlegerisches Risiko das bei Sattouf gerechtfertigt scheint: Der 39-jährige Zeichner und Filmemacher ist ein Künstler, der wie kaum ein anderer die zentralen Themen unserer Zeit zu erfassen weiß. Und zwar, indem er eine vordergündig unpolitische Position einnimmt – den Blick von Kindern auf die Welt.

Von den autobiografischen Erinnerungen „Der Araber von morgen“ liegt mittlerweile der dritte Band vor. Sattouf erzählt hier von seiner Kindheit als Sohn eines arabischen Vaters und einer französischen Mutter im Syrien der frühen Achtziger – der Vater ist arabischer Nationalist, der für seine Heimat eine Zukunft jenseits von frömmlerischem Duckmäusertum erträumt und sich immer wieder eine blutige Nase an den politischen Realitäten holt, die Mutter selbstbewusste Europäerin, die unter dem armseligen Provinzleben nahe Homs leidet. Und der kleine Riad beobachtet das Geschehen mit teilnahmsloser Melancholie. Riad weiß nicht, dass er sich in einem Land befindet, das ein Vierteljahrhundert später Schauplatz eines grausamen Bürgerkriegs werden soll, aber wir Leser wissen es – im „Araber von morgen“ ahnt man vor allem ein Arabien von heute.

Subtiler aber nicht weniger relevant ist „Esthers Tagebücher“, basierend auf Gesprächen mit der neunjährigen Tochter eines Freundes. Esther ist charmant, mitfühlend, klug, gleichzeitig aber auch oberflächlich und zickig, sprich: Esther ist ein Teenager. Der soziale Hintergrund ist wichtig: die kleinen Demütigungen, die Esther als Mittelschichtskind auf der Privatschule erfährt. Der Vater rät, dass man mit Polizisten geduldig sein müsse, weil: Polizisten sind gefährlich. Und die Gewalt der tumben Mitschüler, der Esthers Bruder auf der öffentlichen Schule ausgesetzt ist.

Satouf zeichnet das realistische Bild seiner Gegenwart. Und dass ein arabischstämmiger Künstler sich dieser Aufgabe annimmt, zeigt nicht zuletzt: Diese Gegenwart ist nicht so homogen weiß, wie es sich Front National und AfD wünschen. Aber auch nicht so harmonisch, wie wir sie gerne hätten. fis

Riad Sattouf Esthers Tagebücher

Reprodukt, 2017, 56 S., 20 Euro

Aus d. Franz. v. Ulrich Pröfrock

Riad Sattouf Der Araber von Morgen – Eine Kindheit im nahen Osten (1985–1987), Vol. 3

Knaus, 2017, 152 S., 19,99 Euro

Aus d. Franz. v. Andreas Platthaus

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