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Tiger Girl

Jakob Lass macht Filme, wie es sie sonst nicht gibt in der deutschen Kinolandschaft. Sein neues Impro-Werk „Tiger Girl“ belegt das wieder einmal.

Ein rudimentäres Drehbuch, keine Filmförderung, fiktionale Geschichten in dokumentarischen Settings: Jakob Lass hat mit seiner Art von Kino aufhorchen lassen. Die Lovestory „Love Steaks“ gewann 2014 den Max Ophüls Preis und wurde für den Deutschen Filmpreis nominiert. „Tiger Girl“ , der auf der Berlionale Furore machte, attackiert nun das männliche Selbstverständnis der Actionbranche und wendet sich vehement gegen den Überwachungs- und Sicherheitswahn: Die schüchterne Vanilla (Maria Dragus) will zur Polizei und überbrückt mit einer Ausbildung zur Securityfrau. Plötzlich stellt sich ihr das punkige Tiger Girl (Ella Rumpf) in den Weg und sagt: Lass dich nicht verarschen, nimm dir, was du willst! So ziehen die beiden nachts in Uniform durch die Stadt, beklauen Passanten, zerdeppern Autos und Kunst, machen, was Frauen sonst nicht dürfen. Bis Vanilla übers Ziel hinausschießt. Hippe Mucke, Baseballschlägerschwingen in Zeitlupe, Martial-Arts-Fights in Berliner Parkplatz-Wastelands: Irgendwo zwischen Riot Grrl, „A Clockwork Orange“ und reiner Pose läuft der Film heftig gegen die mit Konsensware gepflasterte Küste der deutschen Filmlandschaft – einen Film wie „Tiger Girl“ hat man im deutschen Kino noch nicht gesehen.

kulturnews hat mit Jakob Lass über „Tiger Girl“ gesprochen.

Jakob Lass, Ihr Film „Tiger Girl“ lief auf der Berlinale als Panorama Special. Nach dem Festival gab es nicht wenige Stimmen, die meinten, der Film hätte dem müden Wettbewerb gut getan. Stimmen Sie zu?
Jakob Lass: Das bleibt eine Festivalentscheidung, nicht meine. Ich war sehr glücklich damit, wie die Berlinale für uns verlaufen ist. Wir hatten eine ausverkaufte Premiere mit 800 Zuschauern im Zoo-Palast und viel positives Feedback. Ich kann mich nicht beklagen.
Da ist kein Was-wäre-gewesen-wenn?
Lass: Das muss doch die Festivalleitung selber wissen, welche Filme sie in ihrem Wettbewerb will! Wenn sie meinen Film nicht haben wollen, sind sie selber schuld.
Sie drehen Ihre Filme ohne Filmförderung, eingebettet in dokumentarische Szenarien, mit einem rudimentären Drehbuch und Improvisationen. Was ist der Vorteil?
Lass: Ich suche da ein ganz spezielles, anderes Schauspiel. Ich möchte Filme, die im beste Fall aufregend zu gucken sind. So versuche ich, mich auch herauszufordern. Sowohl das dokumentarische Umfeld als auch die Improvisationen verlangen, dass man alle seine Ideen überprüft. Wenn es eine Idee ist, die nicht zu improvisieren ist, dann ist an ihr etwas falsch, dann stimmt es nicht, dann verhalten sich Leute vielleicht nicht so. Oder wenn etwas im dokumentarischen Umfeld komplexer ist, dann kann ich das so in meinen Film mit reinnehmen und so mehr Tiefe reingeben, als ich vorher hatte. Ich habe dadurch auch Dreharbeiten, die für mich und meine Crew eine spannende und lehrreiche Zeit sind – und das überträgt sich auf die Filme, die weniger Gefahr laufen, platt zu werden.
Sehen Sie sich als Ergänzung oder als Alternative zum herkömmlichen Filmbetrieb?
Lass: Im positivsten Sinne würde ich hoffe, dass meine Arbeit inspiriert, dass sie grundsätzlich anregt, darüber nachzudenken, wie man Filme macht und dass es nicht nur eine, sondern tausende Arten gibt. Man sollte alle Konventionen überprüfen und nichts deswegen machen, weil man es immer schon so gemacht hat. Dabei gibt es gute Traditionen, die immer noch Bestand und Gehalt haben. Und es gibt viele Dinge, die man nur tut, weil man es nicht anders gewöhnt ist. Da finde ich, sollte sich jeder trauen, seine Gewohnheiten zu brechen und sich neue Blickwinkel zu eröffnen.
Sie stellen für Ihre Arbeit viele Regeln und sogar ein Manifest auf, darin steht unter anderem „Keiner ist größer als die Gruppe.“ Das klingt schon nach Revolution.
Lass (lacht): Weiß ich nicht. Ich habe schon das Gefühl, dass sich in der deutschen Filmbranche was tut, und dass es eine größere Offenheit gibt für riskantere Projekte. Man ist ein paar Schritte weggegangen vom absoluten Bedekenträgertum, wo man den ungefährlichsten und sichersten Film sucht, der auf jeden Fall allen Zuschauern gefallen wird. Man versucht auch mal was zu wagen – und nur so kann spannendes Kino entstehen. Man kann nicht risikoarm großartige Dinge schaffen.

Interview: Volker Sievert

Die Spielzeiten von „Tiger Girl“ in Ihrer Nähe gibt es hier.

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