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Tom Rachmann: Die Gesichter

Rachman

Nach seinem Journalistenroman „Die Unperfekten“ begibt sich Tom Rachman mit „Die Gesichter“ in die Kunstszene.

Er ist die Karikatur des egomanen Künstlers: Der rauchende und saufende Bear Bavinsky avanciert in den 50er- und 60er-Jahren zum weltweit gefeierten Star der Kunstszene, er zeugt 17 Kinder mit zahlreichen Frauen und interessiert sich bis an sein Lebensende doch einzig und allein nur für sich selbst. Wenn sich der in London geborene und in Kanada aufgewachsene Autor Tom Rachman nach seinem Journalistenroman „Die Unperfekten“ und „Aufstieg und Fall großer Mächte“ in seinem dritten Werk der Kunstwelt zuwendet, wimmelt es vor Klischees: berechnende Künstler, abzockende Galeristen, schwafelnde Kunstkritiker. Das kann man amüsant oder auch nervig finden – es ist schlichtweg egal, denn wie auch die Abziehfigur Bear Bavinsky ist seine Betrachtung des Kunstmarktes kaum mehr als Teil der Versuchsanordnung. Rachman rückt einen der Söhne des Malerfürsten in den Fokus: Die Handlung von „Die Gesichter“ setzt 1955 in Rom ein, als Bear mit dem fünfjährigen Pinch und dessen Mutter in Rom in einer Atelierwohnung haust. Zwar ist Bavinsky herzlicher mit Pinch als mit seinen anderen Kindern und unterweist ihn mitunter auch in die Technik des Malens, doch bald schon ist der Vater weg, um in New York weitere Kinder zu zeugen und Ausstellungen zu planen. Pinch zieht mit seiner Mutter nach London, die mehr und mehr in die Depression abrutscht, da selbst der Status der Exkünstlergattin nicht hilft, den Kunstbetrieb für ihre Töpfereien zu interessieren. Trotzdem ermuntert sie ihren Sohn, dem Vater nachzueifern, und erst Bears vernichtendes Urteil bei einem New-York-Besuch stoppt Pinchs Ambitionen … Woran knüpfen wir unser Selbstwertgefühl, und warum suchen wir trotz besseren Wissens an den falschen Orten und bei den falschen Personen nach Anerkennung? Es ist das überzeugende Psychogramm des Künstlersohns, der als vermeintlich graue Lehrerexistenz strandet, das diesen Roman unbedingt lesenswert macht. Rachman erzählt von einer anrührenden Mutter-Sohn-Beziehung und stellt Pinch tiefenscharf gezeichnete Nebenfiguren wie seine späte Geliebte Jing und den besten Freund Marsden zur Seite. Und nun gut, am Ende wartet Rachman auch noch mit einer Wendung auf, bei der Bear Bavinsky nicht ganz unwichtig ist. cs

Aus d. Engl. v. Bernhard Robben. dtv 2018, 416 S., 22 Euro

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