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Whistleblower & Vigilanten: Hartware MedienKunstVerein, Dortmund

WWWiderstand: Der Dortmunder Hartware MedienKunstVerein zeigt „Whistleblower & Vigilanten“.

Alle lieben Edward Snowden. Bei Julian Assange ist das schon schwieriger – zu egoman gibt sich der Wikileaks-Gründer als dass man ihm unbefangen gegenüber treten könnte. Und wenn parallel auch noch Figuren wie der Unabomber Ted Kaczynski auf dem Ausstellungsplakat gezeigt werden, dann ist endgültig klar: „Whistleblower & Vigilanten“, das sind nicht unbedingt die Guten, das sind schillernde Figuren und damit wie geschaffen für eine künstlerische Beschäftigung.

Die Ausstellung befragt bis 14. August die Selbstlegitimationen und die Rechtsvorstellungen bei Whistleblowern, Hackern, Onlineaktivisten und Künstlern, zu sehen sind Arbeiten unter anderem von Lutz Dammbeck, Omer Fast, dem PENG! Collective und Milo Rau.

Interview mit den Ausstellungsmachern Inke Arns und Jens Kabisch

Frau Arns, Herr Kabisch, Sie haben die Ausstellung „Whistleblower und Vigilanten“ kuratiert. Als „Vigilanten“ bezeichnet man Leute, die das Recht in die eigenen Hände nehmen und dabei systemstabilisierend wirken, zum Beispiel in Bürgerwehren. Grenzt das nicht an üble Nachrede, Whistleblower in einem Atemzug mit denen zu nennen?
Jens Kabisch: Unsere Absicht ist es, eine möglichst große Spannbreite von Figuren und Phänomenen des digitalen Widerstands zu zeigen. Dazu gehören einerseits Whistleblower wie Edward Snowden, der mit der Veröffentlichung von Geheimdokumente der NSA und des britischen GCHQ auf das Ausmaß der Kontrolle des Internets durch Geheimdienste aufmerksam machen wollte und uns damit ermahnt, dass uns wichtige Freiheitsrechte verloren gehen; dazu gehören aber auch jene Horden von selbsternannten Rächern, die im Internet allein für ihre subjektiven Werte kämpfen. Anonymous ist da ein schönes Beispiel. Das Phänomen startete ursprünglich in einem Onlineforum für Jugendliche: Anonymous setzten sich damals zum Ziel, andere User durch eine sehr krude Form des Humors, den lulz, zu maßregeln. Erst später wandelte sich das Kollektiv in eine politische Bewegung, die heute unter anderem gegen den Islamischen Staat in den Krieg zieht. In diesem Sinne geht es uns nicht um eine Gleichsetzung von Whistleblowern und Vigilanten, eher im Gegenteil: Wir wollen die Unterschiede dieser verschiedenen Akteure hervorheben, die von hochfliegenden Absichten bis hin zu Selbstjustiz reichen können.

Das Ausstellungsplakat zeigt Steckbriefe, unter anderem von Wikileaks-Gründer Julian Assange, dem als „Unabomber“ bekannt gewordenen Terroristen Ted Kaczynski und der Whistleblowerin Jesselyn Radack. Gibt es tatsächlich irgendeine Gemeinsamkeit dieser Figuren?
Kabisch: Wir behaupten nicht, dass Widerstand eine uniforme Sache ist. Leider wird dieses Bild in vielen Medien heute gezeichnet und auch von vielen Aktivisten so gesehen. Es findet eher von offizieller Seite eine Gleichmacherei statt, darauf spielt unser Plakat an. Wenn es etwas Gemeinsames gibt, ist es vielleicht der Reflex, gegen etwas zu sein – dann hört es aber schon auf. Unser Ziel ist es nicht, mit einem groben Pinsel alle gleichzumachen. Im Gegenteil: Ich glaube, wir müssen die Unterschiede ernst nehmen, um eine informierte politische Diskussion führen zu können.

Weswegen gibt es augenscheinlich gerade in der Kunst ein Interesse an diesem Thema?
Kabisch: Manches mag mit der Medienpräsenz von Assange und Snowden zu tun haben oder auch mit dem Gefühl, dass etwas aus dem Ruder läuft. Für uns ist es wichtig, die Grundsätze des Widerstands und die Möglichkeit zum Widerstand offenzulegen. Ob es sich dabei um Kunst handelt oder nicht, ist für mich bedeutungslos.
Inke Arns: In der Medienkunst gibt es nicht erst seit Snowden und Assange ein Bewusstsein dafür, dass man sich zu diesen Entwicklungen im digitalen Bereich positionieren muss. Die ganzen aktivistischen Künstlergruppierungen der 1990er Jahre wie etoy, Electronic Disturbance Theatre, die Yes Men und das Critical Art Ensemble haben sich damit auseinander gesetzt, lange bevor das Thema den Mainstream erreichte. Und Lutz Dammbecks Beschäftigung mit dem Unabomber begann vor mehr als zehn Jahren. Bestimmte Formen von experimenteller zeitgenössischer Kunst sind also eine Art Frühwarnsystem, wenn Sie so wollen.

Ist es nicht so, dass das Thema mich als Feld-Wald-und-Wiesen-Internetnutzer kaum betrifft?
Kabisch: Dieser Vorstellung würde ich vehement widersprechen. Sich seiner gesellschaftlichen Stellung und seiner Rechte gewahr zu werden, kann nie nebensächlich sein.

Ich frage mich ja immer wieder: Laufe ich eigentlich bei übermäßiger Sorge um die eigene Privatsphäre Gefahr, zum paranoiden Aluhut zu werden?
Kabisch: Paranoia setzt immer ein Gefühl der Machtlosigkeit voraus. Gegen dieses Gefühl wollen wir mit der Ausstellung zumindest ein Stück weit angehen und dem Besucher den Horizont digitaler Selbstverteidigung eröffnen.
Arns: Die Verwendung des E-Mail-Verschlüsselungsprogramms PGP ist schonmal ein guter Anfang und hat nichts mit Paranoia zu tun. Es sollte zu einer Selbstverständlichkeit werden. Schließlich schließen Sie ja Ihre Wohnungstür auch ab und lassen sie nicht sperrangelweit aufstehen, wenn Sie das Haus verlassen. Oder?

Interview: Falk Schreiber

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